Blumen und Kerzen am Grab
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„Focus“

Leben mit dem Tod eines Kindes

In der ORF Vorarlberg-Sendung „Focus“ geht es diese Woche darum, wie man ein Leben nach dem Tod eines Kindes leben kann. Der deutsche Trauerbegleiter Norbert Nitsche hat das selbst erlebt, er hat eine seiner Töchter mit sechs Monaten am plötzlichen Kindstod verloren. Wichtig für die Hinterbliebenen sei es, weiterzuleben und ins Leben zurückfinden.

Manchmal sind es Prominente, die einem in Erinnerung rufen, wie zerbrechlich das Leben ist. Auch dann, wenn es um etwas fast Unvorstellbares geht – nämlich um den Tod von Kindern. Erst vor wenigen Tagen hat der mehrfache Weltfußballer Christiano Ronaldo bekannt gegeben, dass von seinen geborenen Zwillingen, jetzt nur mehr das Mädchen am Leben ist, der Sohn ist verstorben. In „Focus“ geht es darum, wie man ein Leben nach dem Tod eines Kindes leben kann. Denn solche Schicksale erleiden auch viele unbekannte Familien – nur dass man davon kaum erfährt. Der Tod eines Kindes ist ein sehr stiller.

Geschwisterkinder dürfen nicht vergessen werden

In „Focus“ spricht der deutsche Trauerbegleiter Norbert Nitsche – und er weiß, wovon er spricht, denn er hat eine seiner Töchter mit sechs Monaten am plötzlichen Kindstod verloren. Nitsche sagt, man vergisst in einem solchen Moment oft die Trauer der Geschwisterkinder, sie sind oft die doppelten Verlierer. Sie verlieren nicht nur den Bruder oder die Schwester, sondern oft gewissermaßen auch die Eltern, die in ihrer eigenen Trauer so gefangen sind.

Norbert Nitsche, Trauerbegleiter
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Trauerbegleiter Norbert Nitsche

Die gute Nachricht, die Norbert Nitsche verbreiten möchte, ist folgende: Selbst wenn einem so etwas unfassbar Schlimmes, wie der Tod des eigenen Kindes, wiederfährt, kann man aus diesem Abgrund wieder rauskommen. Eine Studie hat ergeben, dass es ein Drittel der Betroffenen auch wieder alleine schafft in die Spur zu kommen, ein Drittel braucht Impulse – etwa durch Freunde, eine Psychotherapie oder durch eine Selbsthilfegruppe. Das letzte Drittel der Betroffenen ist extrem gefährdet, sagt Norbert Nitsche. Diese Personen verlieren sich oft, schlittern in die Alkoholsucht, in Depressionen, vernachlässigen sich, verlieren ihre Arbeit usw.

Traueraufgaben sollen helfen

Wie lange Eltern um ihr Kind trauern, ist ganz unterschiedlich. Einen Unterschied macht es aber, ob das Kind plötzlich aus dem Leben gerissen wurde, oder ob eine Krankheit voran ging.

Damit ein Leben wieder halbwegs normal und geregelt weitergehen kann, muss der Trauerschmerz erstmal anerkannt und akzeptiert werden. In der heutigen Trauerforschung spricht man von Traueraufgaben, die dabei helfen können. Sehr hilfreich, um einen Trennungsschmerz zu verarbeiten, ist es, noch vom Leichnam Abschied nehmen zu können.

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 30. April 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr

Nach dem Tod der eigenen Tochter hat Norbert Nitsche etwa das Kind noch gewaschen, schön angezogen, die Lieblingskuscheltiere in den Sarg gelegt. Heute wisse er, sagt Nitsche, wie wichtig es war, dies tun zu können und zu dürfen. Es hilft einem die Realität des Verlustes zu akzeptieren. Die Bestattungsunternehmen machen vieles sehr gut, sagt Nitsche, aber er ist überzeugt, dass man deswegen nicht alle Arbeiten den Bestattern überlassen sollte. Das Anerkennen der Realität gelinge besser, wenn man den Mut hat sich so zu verabschieden.

Nicht abkapseln sondern wieder ins Leben zurückfinden

Wichtig ist für die Hinterbliebenen vor allem wieder weiterzuleben, sagt Norbert Nitsche. Es gilt wieder ins Leben zurückzufinden, wieder zur Arbeit zu gehen, einkaufen zu gehen oder in der Schule den Elternabend der anderen Kinder zu besuchen, Sport zu treiben – jedenfalls sich nicht nur abzukapseln. Selbst Kindern, wie etwa den Schulfreundinnen und -freunden, kann man das vermitteln, sagt Trauerbegleiter Norbert Nitsche. Wir alle – auch Kinder – müssen immer wieder mit Abschieden umgehen lernen.

Ihm selbst – sagt Norbert Nitsche – haben die Gedanken des Trauerbegleiters Roland Kachler sehr geholfen: Dieser meint „Du darfst weiter lieben, auch wenn das Kind nicht mehr da ist. Dein geliebter Mensch freut sich, wenn es dir schon bald so gut geht, dass du ihn auch immer wieder vergisst“.