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„Focus“

Paul Zulehner – Die Kirche und der Krieg

Paul Michael Zulehner ist Theologe, langjähriger Universitätsprofessor und Autor zahlreicher Bücher. Der seit 2008 emeritierte Professor gehört zu den bekanntesten Religionssoziologen Europas. Er schrieb das Buch „Europa beseelen – das Evangelium und das Ringen um Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit“.

Der bekannte Wiener Theologe Paul Zulehner plädiert für eine vermittelnde Rolle der Kirche im Ukraine-Krieg. Sie solle als Brückenbauerin fungieren, als Anwältin des Dialogs. Das sagte der emeritierte Professor der Universität Wien vergangene Woche anlässlich einer Veranstaltung im Bildungshaus St. Arbogast. Das geplante Thema war „Werte in Europa – Wie die christlichen Kirchen in Europa Anwältinnen von Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit sein können“. Bei dieser Diskussion ging Professor Zulehner aber natürlich auch ganz aktuell auf den Krieg in der Ukraine ein.

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 19. März 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr

Doppelgesichtige Rolle

Die Kirche spiele eine doppelgesichtige Rolle in der Politik, sagt Zulehner. Die Religion kann brutal missbraucht werden zur Rechtfertigung von Gewalt und Krieg. Das würde zurzeit auch der Patriarch von Moskau und damit der Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche Kyrill machen. Aber auch Theologen in der Ukraine würden in derselben Versuchung stecken ihren Freiheitskampf mit Gott zu rechtfertigen. Die Versuchung zu sagen „Gott ist mit unseren Heeren“ hat es immer gegeben. Auch auf den Gürten der SS stand geschrieben „Gott mit uns“. „War er das?“ fragt Zulehner mehr rhetorisch.

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Aktuelles Buch von Paul Zulehner

Im 30jährigen Krieg haben sich die Konfessionen im Namen Gottes gegenseitig umgebracht. Frauen wurden vergewaltigt, das Land geplündert. Bis zu 70 Prozent der Bevölkerung in Europa wurde in diesem Krieg ausgerottet. Es war einer der blutigsten Kriege der Menschheit – und es war der Grund für den Niedergang es Christentums in Europa, sagt Professor Zulehner, denn das wurde den Konfessionen nie verziehen.

Auch seinen Freunden im Islam – sagt Paul Zulehner – würde er sagen „Gebt gut Acht! Lernt von unserer Geschichte in Europa. Dem Christentum hat die Verbindung mit Gewalt nur geschadet. Dem Islam wird die Verbindung mit Gewalt im islamischen Staat nur schaden.

Christentum muss Brücken bauen

Das Christentum darf daher jetzt nicht eine Partei ergreifen, so gerne man das auch machen würde, sondern es muss Brücken bauen, sagt Zulehner. Das wäre jetzt die Kunst. Das Christentum ist eine Religion des Friedens und des Zusammenrückens und nicht der Rechtfertigung von inhumaner Gewalt.

Zulehner erzählt von Überlegungen zur Diplomatie mit Hilfe der Kirche. Der mittlerweile in dieser Woche verstorbene ehemalige ÖVP-Vizekanzler Erhard Busek habe ihm noch vor wenigen Tagen eine Mail geschickt, in der Busek fragt, ob nicht der Papst Putin treffen könnte oder zumindest den Kyrill, um Friedenspolitik zu machen.

Das sei eine schwierige Angelegenheit, sagt Zulehner, Es gebe zwar Telefonate zwischen dem Vatikan und Moskau, aber der Papst würde, wenn er hinfährt keinen Termin bekommen und er müsste ja eigentlich von seiner Logik her auf Seiten der unterdrückten Ukrainer stehen, also in die Ukraine fahren. Dorthin habe er bereits zwei Delegaten hingeschickt.

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Aktuelles Buch von Paul Zulehner

Papst als Anwalt des Friedens

Franziskus rät in seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ generell zum Dialog. Man solle aufeinander zugehen, versuchen sich zu verstehen, Berührungspunkte suchen. Der Papst – betont Zulehner – ist generell ein Anwalt des Friedens gegen die Waffenlieferungen – und Waffenproduktionen, aber es sei eine sehr komplizierte Lage des Vatikans derzeit. Es gibt wenigstens kleine Schritte und Bemühungen, sagt Zulehner.

Paul Zulehner sagt, Wladimir Putin habe nicht Angst vor den Waffen, sondern vor der Freiheit der Ukrainer. Diese seien unsere Lehrmeister die Freiheit mehr zu achten.

Theologie-Professor Paul Zulehner ist überzeugt, dass nur die Kombination der drei Werte – Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit – zu einem Frieden führen kann. Als Weltgemeinschaft haben wir zudem nur eine Chance, wenn wir wieder der Politik es Vertrauens eine Tür öffnen.