EIne Justitia-Waage Skulptur vor dem Landesgericht Feldkirch
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„Focus“

Die Schönheit der österreichischen Verfassung

In der Sendung „Focus – Themen fürs Leben“ geht es diese Woche um „Die österreichische Verfassung und ihre Schönheit“. So lautet der Titel eines Vortrages von Ewald Wiederin, der seit über 30 Jahren Professor für öffentliches Recht an der Universität Wien ist.

Focus wird bei dieser Sendung staatstragend, und zwar im eigentlichen Sinn. Es geht um das Gerüst unserer Demokratie, unserer Republik – es geht diesmal um unsere Verfassung.

Sendungshinweis: „Focus – Themen fürs Leben“ bei ORF Radio Vorarlberg, 22. Jänner 2021, 13.00 bis 14.00 Uhr

Am 21. Mai 2019, drei Tage nach dem das Ibiza-Video publik wurde und Österreichs Innenpolitik in seinen Grundfesten erschütterte, trat Bundespräsident Alexander van der Bellen vor die laufenden Kameras und beschrieb die Bundesverfassung so, wie sie wohl vorher noch nie umschrieben worden war. In Zeiten wie diesen würde sich – Zitat – „die Eleganz, die Schönheit unserer Bundesverfassung zeigen.“

Ist die Bundesverfassung schön?

Aber ist unsere Bundesverfassung, dieser nun 102 Jahre alter Text, tatsächlich schön? Dieses Schriftstück, das noch unter dem Eindruck des ersten Weltkrieges, in einer Zeit von Hunger Not verfasst wurde gilt doch als Flickwerk…?

Vortrag im Montagsforum

Der Professor für öffentliches Recht an der Universität Wien, Ewald Wiederin, hat diese Frage der Schönheit der Verfassung aufgegriffen und dazu Mitte November im Rahmen des Montagforums einen Vortrag im Kulturhaus Dornbirn gehalten. Schönheit liegt wie immer im Auge des Betrachters, sagt Professor Ewald Wiederin. Er erörtert in „Focus“, was eine Verfassung ausmacht und was sie allenfalls auch schön macht und schließlich, ob eine Verfassung überhaupt schön sein muss.

Zur Person:

Ewald Wiederin stammt aus Satteins. Er ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Wien und befasst sich seit über 30 Jahren mit Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht und der allgemeinen Staatslehre. Nicht nur an den Universitäten Wien und Salzburg: 1995/96 war der Professor ein Jahr lang Referent im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes. Wiederin ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften.

Ewald Wiederin
Hanae Yamashita
Ewald Wiederin

Die erste Verfassung schon 1713

Die erste geschriebene österreichische Verfassung stammt aus dem Jahr 1713 und nannte sich „Die pragmatische Sanktion“. Darin wurde festgelegt, dass die habsburgischen Länder unteilbar sind. Und sie ermöglichte – anders also als in der beschriebenen französischen Verfassung – später Maria Theresia Kaiserin zu werden. Bislang durfte nur männliche Nachkommen Thronfolger werden.

Verfassungen haben Revolutionen begleitet

Eine Verfassung macht also mitunter Unrecht zu Recht. Sie bricht oft die bestehende Verfassung. Verfassungen haben insofern Revolutionen begleitet, sagt Professor Wiederin. Ein Musterbeispiel hat die französische Revolution 1789 hervorgebracht – nämlich die berühmte Erklärung der Menschenrechte. Sie hat in Frankreich immer noch Verfassungsrang. Inhaltlich findet Professor Wiederin diese Menschrechtserklärung „richtig schön“.

Ideen „müssen regelrecht ins Hirn fahren“

Man müsse solche Ideen wie bei der Menschenrechtserklärung so formulieren, dass sie den Menschen regelrecht ins Hirn fahren, damit sie sich damit identifizieren können, so Wiederin. Napoleon gab einst den Rat, Verfassungen müssten kurz und unklar sein. Damit eine Verfassung integriert und nicht polarisiert, somit sich alle in ihr wiederfinden können – sagt Wiederin- muss es tatsächlich eine hohe Abstraktion geben, muss „ein bisschen Nebel über dem Konkreten schweben“.

Für Juristen eher unansehnlich

Die vielen unterschiedlichen Texte, die Unübersichtlichkeit, das macht die Bundesverfassung aus Sicht vieler Juristen unansehnlich. Relativ kurz und vor allem klar sind indes die Regeln zur Ernennung, Enthebung oder Entlassung von Regierungsmitgliedern, also von Ministerinnen und Ministern. Auch die Regeln zur Kanzlerschaft und zum Amt des Bundespräsidenten – also in dem Bereich, in dem es um die Macht im Staat geht.

Elegante Präzision im Konkreten

Wiederin sagt, er könne nachvollziehen, dass unser Bundespräsident diese präzisen Passagen elegant fand. Im Zuge dessen wurde dafür oft Hans Kelsen gelobt. Zu Unrecht, sagt Verfassungsexperte Wiederin, denn diese Passagen wurden 1929 quasi von der Verfassung der Weimarer Republik kopiert.

Sehr österreichisch ist hingegen die Rangordnung innerhalb der Verfassung, welche Regeln wichtiger sind als andere – sozusagen die Hierarchie der Normen, der sogenannte Stufenbau der Rechtsordnung. Und typisch österreichisch und auch international wegweisend ist die nachträgliche Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof.

„Besser geht’s nicht“

Professor Ewald Wiederin wirkte 2003 bis 2005 auch beim Österreichkonvent mit, der sich auch die Ausarbeitung einen neuen Verfassungstext zum Ziel gesetzt hatte, allerdings mussten sich die Experten angesichts der aktuellen Verfassung quasi eingestehen: „Besser geht’s nicht“. Jedenfalls noch nicht.