Joachim Bauers Vortrag widmet sich dem menschlichen „Selbst“. Welche Bedeutung hat dieses „Selbst“, welche Rolle spielt es in unseren Beziehungen, in der Erziehung unserer Kinder oder im Umgang mit anderen Menschen? Und wie entsteht überhaupt dieses „Selbst“, dieses „Ich“ und was ist darunter zu verstehen?
Sendungshinweis: „Focus" bei ORF Radio Vorarlberg, 08.01.2022, 13.00 bis 14.00 Uhr
Wie gelingt es uns ein „Ich“, ein „Du“ oder ein „Wir“ zu denken, zu fühlen und zu erleben? Was macht uns andererseits zum Individuum? Wie werden wir also, wer wir sind? Joachim Bauer greift diese zentralen Fragen des Lebens in seinem Vortrag auf.
Das „Ich“ wohnt im Stirnhirn
Bauer verortet das Selbst in der unteren Etage des Stirnhirns. Das wurde erst vor wenigen Jahren entdeckt, sagt der Neurowissenschaftler. Frühe Resonanzerfahrungen in den ersten zwölf bis 14 Lebensmonaten führen zur Herausbildung eines „Selbst“. Es ist also ganz wichtig, dass Säuglinge in dieser Zeit gut behandelt werden – auch in Kinderbetreuungseinrichtungen. Das geht dort nur, wenn es ausreichend Personal gibt.

Im „Ich“ steckt immer auch ein „Du“
Was die Philosophen schon lange sagen, nämlich, dass das „Ich“ und das „Du“ engstens verwoben sind und viel miteinander zu tun haben, haben die Hirnwissenschaftler nun eindrucksvoll bestätigen können. Für die Philosophen war das keine Neuigkeit, aber jetzt können auch die Neurowissenschaftler sagen: Ja, man kann diese Verbindung zwischen dem „Ich“ und dem „Du“ auch neuronal beobachten. Im „Selbst“ steckt immer auch ein „Du“. Und in dem was wir glauben, dass das „Du“ ist, steckt immer auch ein „Selbst“.
Das Selbst als innerer Arzt
Das „Selbst“ ist eine innere Instanz mit einer ganz starken Effektivität in den Körper hinein, so Bauer. Das „Selbst“-System beeinflusst die gesamte Körperbiologie und kann als „Innerer Arzt“ wirksam sein. Und das Selbstsystem des Menschen lässt sich ansprechen. Besonders wichtig sei dabei, so Bauer, eine prosoziale Lebenseinstellung. Diese wirke sich positiv auf den ganzen Körper aus. Solche Ansagen haben also eine biologische Folgewirkung.

Zur Person
Prof. Dr. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Arzt, Psychotherapeut und Autor zahlreicher Sachbücher. Nach vielen Jahren an der Universität Freiburg arbeitet er heute in Berlin. Für seine neurowissenschaftliche Arbeit wurde er mit dem Organ- und Forschungspreis der deutschen Gesellschaft für biologische Psychiatrie ausgezeichnet. Das Magazin „Cicero“ zählte Joachim Bauer zu den einflussreichsten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Joachim Bauer war mit unterschiedlichsten Themen bereits Gast in „Focus“ bei Franz-Josef Köb, Johannes Schmidle und Marion Flatz-Mäser.