„Lebensentwürfe heute: wie junge Frauen und Männer leben wollen...“

Sozialforscherin Prof.Dr. Jutta Allmendinger, Berlin, spricht in Focus über „Lebensentwürfe heute: wie junge Frauen und Männer leben wollen...“.

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Sendungshinweis:

Focus, 25.4.15

Die Ergebnisse der Untersuchung, die zwischen 2007 und 2012 mit 1.000 jungen Frauen und Männern in Deutschland durchgeführt wurde, lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen.

"Die von vielen erwartete Retraditionalisierung von Frauen ist nicht zu beobachten. Selbst wenn Frauen eine Familie gegründet und Kinder bekommen haben, weichen sie nicht von ihren Werten und Einstellungen ab. Sie bleiben orientiert auf die Erwerbsarbeit.
Diese erachten sie als gesetzt, heute noch stärker als vor fünf Jahren. Der Anteil von Frauen, denen die Familie heute wichtiger ist als die Erwerbstätigkeit, liegt bei unter 5 Prozent.

Erwerbstätigkeit ist wichtig

Die Erwerbstätigkeit von Frauen wird auch gesellschaftlich stark gestützt. Wen man auch fragt, die Übereinstimmung zwischen Frauen und Männern ist überwältigend: Frauen wollen erwerbstätig sein, genauso wie Männer. Was Frauen über sich und andere Frauen sagen, entspricht also dem, was Männer über sich, über andere Männer und über Frauen sagen. Eindrucksvoll ist hier der Wertewandel von Männern. Viel stärker als vor fünf Jahren ist ihnen wichtig, dass Frauen auf eigenen Beinen stehen, finanziell unabhängig sind und viel Geld verdienen.

Bei Familie und Kindern erkennen wir diesen gesellschaftlichen Konsens nicht.
Hier weicht der eigene Wunsch von Frauen stark von dem ab, was sie bei anderen Frauen vermuten. Die einzelne Frau will durchaus Kinder bekommen. Bei anderen Frauen sieht sie diesen Wunsch nicht. Noch größer sind die Spannungslinien bei den Männern. Die Mehrheit von ihnen möchte Kinder. Gleichermaßen gehen sie davon aus, dass nur sehr wenige Männer Vater werden möchten. Entsprechend wird die deutsche Gesellschaft auch nicht als kinderfreundlich beschrieben.

Das Bedürfnis nach Nähe ist immer noch groß. Der ausgeprägte Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit geht nicht mit einer Vereinzelung der jungen Frauen und Männer einher. Eine stabile feste Beziehung, die Nähe zu Freunden und Eltern sind ihnen ausgesprochen wichtig. Sie wollen sich um andere sorgen und selbst umsorgt werden. Unabhängigkeit scheint zu einer Voraussetzung für Nähe geworden zu sein.

Geschlechterbilder bleiben bestehen

Geschlechterbilder bleiben bestehen, nähern sich aber deutlich an. Nach wie vor stimmen Frauen und Männer darin überein, dass Ehe, Familie und Kinder für Frauen wichtiger sind als für Männer. Dagegen wird von Männern wie von Frauen vermutet, dass Männer größeren Wert auf eine Karriere legen als Frauen. Die Unterschiede sind heute allerdings viel geringer als vor fünf Jahren. Wesentliche Differenzen zwischen Frauen und Männern finden wir so gut wie keine mehr. Allerdings gehen Männer noch davon aus, dass Geld für Frauen nicht so wichtig ist, während sich das für die Frauen selbst ganz anders darstellt.

Die Lebenssituationen der Frauen und Männer unterscheiden sich stärker. Gegenüber 2007 arbeiten heute noch mehr Frauen als Männer in Teilzeit und unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit für Kinder. Zwar wollen auch viele in Vollzeit erwerbstätige Männer ihre vertragliche Arbeitszeit reduzieren, doch setzen sie diesen Vorsatz nicht um. Ebenso lehnt nur noch ein Drittel der Männer ab, Elternzeit zu nehmen. Der Rest akzeptiert sie, allerdings nur auf niedrigem Niveau. Nicht nur die Erwerbsarbeit, auch die Hausarbeit ist ungleich verteilt. Entgegen Befunden aus anderen Studien finden wir auch bei kinderlosen und in Vollzeit erwerbstätigen Paaren, dass die Hausarbeit hauptsächlich von Frauen erledigt wird.

Arbeitsplatz wird bis auf Bezahlung positiv gesehen

Männer und Frauen fühlen sich nicht angemessen entlohnt. Sie sind gerne erwerbstätig und beurteilen ihren Arbeitsplatz überwiegend positiv - bis auf die Bezahlung. Nur die Hälfte der Frauen und Männer findet sie angemessen. Bei Frauen kommt erschwerend hinzu, dass sie kaum Möglichkeiten für eine richtige Karriere sehen. Sie fühlen sich diskriminiert: Sie erhalten keinen vergleichbaren Lohn für vergleichbare
Arbeit und werden langsamer befördert als Männer. Männer stimmen dieser Beurteilung
zu. Das überrascht zunächst. Allerdings meinen gerade die Männer, die am deutlichsten die Schlechterstellung von Frauen formulieren, dass man daran nichts ändern müsse.

Die Bedeutung von Bildung und Ausbildung ist weiter gestiegen. Insbesondere niedrig gebildete Männer fühlen sich von der Gesellschaft abgehängt, sind unzufrieden und sehen kaum Perspektiven. Dieser düstere Blick geht weit über den Erwerbssektor hinaus.

Die Ungleichheit in der deutschen Gesellschaft hat deutlich zugenommen. Die Befragten sehen die Gesellschaft heute noch kritischer als 2007. Ihrer Meinung nach werden Macht, Einfluss und Verantwortung verstärkt ungleich verteilt. Von der Politik sehen sie sich zunehmend missachtet. Ihre Probleme werden nicht erkannt und bleiben unbearbeitet."

Wir haben diesen Vortrag beim Neujahrsempfang für Frauen 2015 in der Kulturbühne am Bach in Götzis aufgezeichnet.

Zur Person:

Prof.in Dr.in Jutta Allmendinger
seit 2007 Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin.
2003 - 2007 Direktorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Nürnberg
1992 - 2007
Professorin für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (beurlaubt von Februar 2003 bis Februar 2007)

Literatur:

Allmendinger, Jutta (2013): Lebensentwürfe heute. Wie junge Frauen und Männer leben wollen - 24. Peter Kaiser-Vortrag vom 25. Oktober 2013 am Liechtenstein-Institut in Bendern. Kleine Schriften 55. Schaan: Verlag der Liechtensteinischen Akademischen Gesellschaft.

Literatur:

bibliothek.wzb.eu

MUSIK:

CD* BIGGER THAN HOME
T* Turbo-Lento
A: Manu Delago

THINGS HAVE CHANGED -
Bob Dylan

BRIGHT EYES (INSTR.)
JOHNNY PEARSON