Günter Funke: „Herausforderung Pubertät“

Günter Funke, Psychotherapeut, Leiter des Instituts für Existenzanalyse und Lebensphänomenologie Berlin, spricht diese Woche in Focus über die „Herausforderung Pubertät“.

Die Sendung zum Nachhören

Da gibt es die Erziehung, die Pubertät als Antithese und es lässt die Frage aufkeimen, ob es eine Synthese gibt, stellt Günter Funke die rhetorische Eingangsfrage.

Sendehinweis:

„Focus“, 29.8.15, 13.00. bis 14.00 Uhr, ORF Radio Vorarlberg

Viele Eltern gehen ängstlich in diese Zeit.
Man höre oft Horrorgeschichten. Zumindest in Bezug auf die Schule scheint es Probleme zu geben. Viele Eltern machen drei Kreuze, wenn diese Zeit vorbei ist, bestätigt Funke Erfahrungen von seinen Klienten.

Appell und Widerstand

Der Appell führt dazu, dass der Widerstand wächst. Jeder Appell ruft beim Jugendlichen hervor: das wollen wir mal sehen. Hat es früher gleich eine Ohrfeige gesetzt, wenn den väterlichen Anweisungen nicht Folge geleistet wurde, so wissen Jugendliche heute, dass ihnen Eltern keine Gewalt antun dürfen. Manchmal haben Eltern den Eindruck, die Jugendlichen spielen das aus, Psychotherapeut Funke meint aber, es sei vielmehr ein Schutz für die Eltern selbst, sich nicht zu Gewalt hinreißen zu lassen.

Günter Funke

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Günter Funke

Pubertät bedeutet Umbau

In der Pubertät verläuft ein Umbau der Person, wie es einen solchen fundamentalen keinen zweiten in der Lebensgeschichte eines Menschen gebe, charakterisiert Funke diese Lebensphase. Der Umbau ist körperlich, emotional, sozial.

„Jeder hat ein Verhältnis zu seinem Körper, was mich ausmacht, wer ich bin: das hat damit zu tun, wie ich mich zu meinem Körper verhalte. Wenn diese Beziehung zu mir stabil ist, kann ich eine stabile Körperlichkeit zu mir aufbauen. Wenn sich der Körper –wie in der Pubertät- radikal verändert, geht die Beziehung zu mir radikal verloren. Ich habe zu mir keine Beziehungsmöglichkeit mehr, weil ich nicht weiß, wer ich bin. Man verliert sich und geht ins Niemandsland“, ergänzt Günter Funke.

Die freche Röhre

Wie frech ein Pubertierender auch sein mag, er ist niemals böse, sagt Günter Funke. Er braucht uns mehr denn je. Die Pubertierenden wissen nicht wie und wir wissen auch nicht wie wir uns brauchen und wie wir miteinander umgehen sollen. Wenn Eltern Hilfe anbieten, wird sie von Pubertierenden oft hart und kalt ausgeschlagen.

Die fehlende Bestätigung

In der Pubertät spüren Eltern, dass Kinder zur Bestätigung ihrer Identität nicht mehr zur Verfügung stehen. Eltern leiten ihre Identität gerne von ihren braven, leistungsorientierten Kindern ab. Eltern geraten deshalb in die Krise, weil sie sich stark von dem her definieren, wie die Kinder sind.

Erziehung wird zur Beziehung

In der Pubertät wird die Erziehung, die nicht mehr funktioniert, zur Beziehung. Die Frage ist, ob Eltern das können? In der Pubertät ist man oft traurig oder nicht sehr glücklich, weil die entsprechenden Botenstoffe, wie das Oxytocin (Kuschelhormon), nicht in dem Maße ausgeschüttet werden, wie sie es in der Kindheit wurden. Damals gab es die einfache Begeisterung für jeden kleinen Erfolg. Jedes basale Gelingen des Kindes wird belohnt. Dieses Erfolgserlebnis fehlt in der Pubertät komplett.

Eltern müssen nerven und am Jugendlichen „bleiben“

In der Pubertät müssen Eltern nerven, indem sie mit ihrem Pubertierenden in Beziehung bleiben. Wir müssen im Wertschätzungsmodus bleiben, sagt Funke; der Jugendliche kann es derzeit nicht, aber die Eltern sollten es „können“.

Das Schlimmste wäre das Alleinlassen

Dieses Üben der Präsenz der Eltern ist wichtig, so Funke. „Du, ich bin da!“ Dahinter steht beim Jugendlichen auch die Frage aller Fragen: „Liebt man mich auch, wenn ich nicht lieb bin?“ Wenn Jugendliche schon als Kinder ihr „Eigenes“ an sich entwickeln konnten, kann auch Pubertät besser gelingen. Pubertät kann aus der Sicht von Günter Funke aus Elternsicht nur mit Gelassenheit gelingen. Pubertät soll dazu da sein, dass aus Kindern Freunde werden. Die Pubertät ist für Eltern die große Versuchung in Herrschaftsstrukturen zu verfallen.

Zur Person: Günter Funke

Familienvater, Theologe und Existenzanalytiker, Psychotherapeut. Er ist Leiter des Instituts für Existenzanalyse und Lebensphänomenologie in Berlin. Günter Funke arbeitet seit Jahren in eigener psychotherapeutischer Praxis und in der Aus- und Weiterbildung für Logotherapie und Existenzanalyse. Er war persönlicher Schüler Viktor E. Frankls, dem Begründer der Logotherapie, und hat in Hamburg Theologie studiert.

Ein besonderes Anliegen ist ihm die praxisnahe und authentische Vermittlung der Anthropologie der Existenzanalyse. Damit verbunden ist die intensive Auseinandersetzung mit der Lebensphänomenologie. Er ist Kuratoriumsmitglied der Internationalen Pädagogischen Werktagung in Salzburg.

Günter Funke lebt in Berlin, ist Jahrgang 1948 und ein gefragter Vortragender mit vielgebuchter Lehr- und Seminartätigkeit in Deutschland und Österreich. Er gilt als der Experte zum Thema Sinn im deutschsprachigen Raum.

Dieser Vortrag wurde im Bildungshaus St. Arbogast/Götzis aufgezeichnet.

Literatur zur Sendung:

Jan Uwe Rogge.
Pubertät- Loslassen und Haltgeben. rororo

Jesper Juul.
Pubertät- wenn Erziehen nicht mehr geht. gelassen durch stürmische Zeiten. Kösel Verlag

Cathrin Kahlweit und George Deffner.
Pubertäter: Wenn Kinder schwierig und Eltern unerträglich werden. Piper Verlag

Musik:

T* Tanguedia
AS* Akkordeonfestival
A: Armacord
K: A. Piazolla
B: S. Gürtler

G* BAR CLASSICS 3
T* Milonga del Angel
K: Astor Piazolla/1921 - 1992