Manfred Spitzer: „Zum Lernen geboren“

Bei der „Focus“-Sendung von Radio Vorarlberg spricht am Samstag, 12. Jänner 2013, Hirnforscher Prof. DDr. Manfred Spitzer aus Ulm über das Thema „Zum Lernen geboren“.

Die Sendung zum Nachhören:

Sendungshinweis:

„Focus“, 12.1.2013

Die vergangenen zehn bis Jahre haben Erstaunliches ergeben: Lernen funktioniert in vieler Hinsicht anders, als bisher angenommen. Tiefgreifende Reformen von Schule und Bildungswesen sind unausweichlich, sagt Professor Spitzer.

Etwas über`s Lernen lernen

Prof. Spitzer erklärt Arbeitsweise und Potenziale des Gehirns wissenschaftlich genau, aber er bezieht seinen Gegenstand immer wieder auch auf aktuelle Fragestellungen. Der Universitätsprofessor schafft es leicht verständlich, die Lernmaschine im Kopf zu erklären.

Das Lernen betrifft Schüler, Lehrer und Eltern, aber auch uns alle, weil ständige Fortbildung in unserer komplexen Berufswelt immer wichtiger wird. Es vermittelt neue Erkenntnisse aus der Gehirnforschung und deren Bedeutung für das Lernen.

Der Computer als Lernverhinderer

Der Ulmer Universitätsprofessor Manfred Spitzer nimmt auch Bezug auf seinen Bestseller „Digitale Demenz“. Der Psychiater behauptet darin, dass Computer, Facebook und andere Werkzeuge der Moderne besonders jungen Menschen schaden. Wenn Schüler und Studenten sich die Welt nur noch zurecht-googelten und herbeisurften, dann könnten sie sich bald nichts mehr merken und würden wirr im Kopf, sagt Spitzer.

Lernen bedeutet Gehirnzellen stärken

Lernen bedeute aus neurobiologischer Sicht, dass die Verbindungen zwischen Gehirnzellen stärker werden, so Spitzer. Bei Kindern bewirken Lernimpulse schnell eine stärkere Verbindung, bei Erwachsenen dauert das länger. Am Anfang des Lebens kann deshalb sehr viel Neues gelernt werden. Dann nimmt diese Fähigkeit Jahr für Jahr ab. Sie wird dadurch kompensiert, dass Strukturen entstehen, an die immer besser angeknüpft werden kann.

Die Schule hat kein Lern-Monopol

Man wisse heute um die Prinzipien vom Lernen und deswegen könne man sagen, was besser gelinge und was schlechter, so Spitzer. Die Schule habe kein Monopol auf das Lernen. Den man lerne immer. Das Gehirn könne gar nicht anders.

Das Lernen durch Instruktion sei aber bloß das kleine Sahnehäubchen auf der Torte. Als Hirnforscher könne er prima verstehen, wann viel und wann wenig gelernt werde: " Wir wissen wunderbar, was verschiedene Emotionen fürs Lernen bedeuten. Wenn die nicht stimmen, kann der Fachdidaktiker vorne Hokuspokus machen, die Kinder schnallen trotzdem überhaupt nichts."

Gedächtnisleistung und Vorwissen

Inzwischen wisse man, dass die Gedächtnisleistung davon abhängt, wie das bereits verfügbare Wissen organisiert ist. „Sie können auch bei null anfangen, etwas zu lernen, zum Beispiel die Muttersprache. Das geschieht ohne Vorwissen. Mir geht es darum, dass man immer nur mehr oder weniger an Vorgegebenes anknüpft. Wer die fünfte Fremdsprache lernt, knüpft an viel an. Und lernt sie sicher anders als das Kind die Muttersprache“, erläutert Spitzer.

Das Können zählt zu den größten Freuden

Spitzer erachtet es fürsinnlos, die Motivation von der Kompetenz zu trennen. Zu den größten Freuden der Menschen zähle das Erleben, etwas zu können, dann komme die Motivation von selbst.

Zur Person

Prof.DDr. Manfred Spitzer ist Psychiater, Psychologe und Hochschullehrer. Seit 1998 ist er ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, als der er auch die Gesamtleitung des 2004 dort eröffneten Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) innehat, das sich vor allem mit Neurodidaktik beschäftigt.

Literatur

„Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens“. Spektrum Verlag

„Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft“. Original Verlag.

Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. Verlag Droemer und Knaur 2012.

Musik

Universum der Träume:
Thomas Eichenbrenner

Listen to the radio
Don Williams

Vortrags-Mitschnitt vom Jahrestreffen der Führungskräfte und Fachexperten der Collini Gruppe in Hohenems. Für den Mitschnitt der Aufnahme danken wir Joachim Schmid.