Neues Strafrecht soll Schweigepflicht aufheben
Die Bundesregierung hat diese Woche das neue Strafrecht präsentiert. Neben härteren Strafen bei Sexual- und Gewaltdelikten sind darin auch einige Begleitmaßnahmen vorgesehen, die vor allem einen Zweck haben: den Opferschutz verstärken. Dazu gehört beispielsweise auch, dass bei Gefahr im Verzug die ärztliche und therapeutische Schweigepflicht fallen soll.
„Ein zweischneidiges Schwert“
Die ärztliche und therapeutische Schweigepflicht ist ein wertvolles und hohes Gut, darin sind sich Ärzte, Psychiater und Psychotherapeuten einig.
Diese Schweigepflicht zu durchbrechen ist aus Sicht des psychiatrischen Gerichtsgutachters Reinhard Haller allerdings ein zweischneidiges Schwert: Bei der Frage, ob ein Straftäter wieder verüben könnte, könne es natürlich eine Rolle spielen, ob jemand etwa noch Rachegedanken habe. Wisse ein Patient aber, dass solche Informationen potentiell ans Gericht weitergeleitet werden, dann werde er sie seinem Therapeuten gegenüber wohl nie äußern.
„Therapeut sollte keine Details nennen müssen“
Für die Prognosestellung, welche Gefahr von einem mutmaßlichen Täter ausgeht, sieht Haller eine Lösung, bei der die Schweigepflicht nicht verletzt werden müsste: Der Therapeut könnte in die Erstellung der Prognose durch die Abgabe einer Einschätzung einbezogen werden, ohne dass dabei therapeutische Geheimnisse preisgegeben würden. Er könnte Auskunft geben, ob die Therapie einen guten oder einen schlechten Verlauf nehme, ohne zu berichten, was genau in der Therapie gesprochen werde.
Jonas: „Opferschutz vor Datenschutz“
Die Aufhebung der Schweigepflicht darf keinesfalls willkürlich erfolgen, betont der Präsident der Vorarlberger Ärztekammer, Michael Jonas. Er sieht die Möglichkeit nur, wenn dies juristisch klar begründet und bei Gefahr in Verzug notwendig ist: Wenn es klare Hinweise der Staatsanwaltschaft auf einen Zusammenhang zwischen dem Patienten und dem Opfer bestehe, dann habe der Opferschutz Vorrang vor dem Datenschutz, so Jonas.
Gab auch bisher schon Ausnahmen
„Vertrauen ist die Basis für die Täterarbeit“, sagt der Leiter des Bewährungshilfevereins „Neustart“, Winfried Ender - und dazu braucht es die Verschwiegenheit. In Ausnahmefällen war es aber auch bisher schon möglich und nötig, das Schweigen zu brechen, so Ender, etwa, wenn ein Missbrauch in der Jugend eines Betreuten aufgedeckt werde. Dann erstatte man Anzeige.
Insgesamt begrüßt Ender die Begleitmaßnahmen zum neuen Strafrecht - vor allem die Möglichkeit der Vernetzung und die Stärkung des Opferschutzes. Aus seiner Sicht müsste noch mehr in die Täterarbeit investiert werden: Je weniger Rückfälle es gebe und je besser ein Täter betreut sei, desto weniger Opfer gebe es. Und das - weniger Opfer - ist es ja auch, was das neue Strafrecht bringen soll.