CH: Skandal um verbotene Medikamententests

In einer Psychiatrie am Schweizer Bodenseeufer sind jahrzehntelang nicht zugelassene Medikamente an ahnungslosen Patienten getestet worden. Historiker haben nun neue Details über die Vorgänge veröffentlicht.

Der mittlerweile verstorbene Leiter der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen, Roland Kuhn, soll ab 1946 die Medikamentenversuche durchgeführt haben. Seit heuer untersucht ein Team von fünf Schweizer Historikern diesen Fall, bei dem ursprünglich von rund 1.600 betroffene Personen die Rede war.

Dabei sind die Forscher zur Erkenntnis gekommen, dass die Medikamententests ein weit größeres Ausmaß hatten als bislang angenommen. Das hat die Leiterin der Untersuchungskommission, die Historikerin Marietta Meier, in einem Interview mit der Schweizer Zeitung „Tagesanzeiger“ geschildert.

Versuche bis in die 1980er Jahre

Bislang ging man davon aus, dass die Versuche bis zum Jahr 1972 angedauert haben. Meier sagt nun, die Versuche seien bis in die 1980er Jahre hinein durchgeführt worden. Das heißt, der Leiter der Psychiatrie, Roland Kuhn, hat laut Meier die Versuche auch noch nach seiner Pensionierung weitergeführt. Es seien daher weit mehr Patienten betroffen als bislang angenommen. Und es seien auch weit mehr Substanzen getestet worden als bislang angenommen, nämlich Dutzende.

Antidepressiva an Patienten verabreicht

In Schweizer Medien wurde berichtet, dass auch Zöglinge eines Kinderheims im Kloster Fischingen von Kuhn als Testpersonen herangezogen worden seien. Marietta Meier wollte das noch nicht bestätigen. Es gebe derzeit zu viele Krankenakten von betroffenen Patienten. Man werde auch gar nicht alle ansehen können.

Laut Meier steht mittlerweile fest, dass schriftliche Einwilligungen von Patienten zu Tests in der Schweiz bis Anfang der 1970er Jahre kaum eingeholt worden sind. Klar sei jetzt auch, dass in Münsterlingen vor allem Antidepressiva verabreicht wurden und zwar nicht nur an stationäre Patienten, sondern auch an ambulante. Der Leiter der psychiatrischen Klinik sei der Meinung gewesen, die Wirkung von Antidepressiva lasse sich am besten im Alltag testen.

Forscher stoßen auf Widerstand

Nach Angaben von Kommissionsleiterin Meier gibt es für die Forscher noch viel zu tun. Zu klären sei etwa, wer von den Tests gewusst hat, wer daran mitgewirkt und möglicherweise auch profitiert hat. Das Team sucht dazu immer noch Zeitzeugen, vor allem ehemalige Patienten.

Ganz reibungslos verlaufe die Arbeit nicht, so Meier. Die Historiker stoßen auch auf verschlossene Türen, zum Beispiel bei der Schweizer Arzneimittelbehörde Swissmedic.

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