Heinz Bude: „Die Macht von Stimmungen“

Professor Dr. Heinz Bude spricht in der ORF Radio Vorarlberg Sendung „Focus“ über das Thema: „Die Macht von Stimmungen. Warum Gefühle stärker als Argumente sind und wir in einem politischen Reizklima leben“.

Sendungshinweis:

  • „Focus“, 1.10.2016, 13.00 bis 14.00 Uhr, ORF Radio Vorarlberg
  • 6.10.2016, 21.00 bis 22.00 Uhr, ORF Radio Vorarlberg (WH)
  • Donnerstag, 17. August 2017, 21.00 bis 22.00 Uhr (WH)

Stimmungen sind Arten und Weisen unseres Daseins. Es liegt eine Differenz zwischen Gefühlen und Affekten. Etwa das Gefühl in Form der Freude darüber, dass man etwas geschenkt bekommt - oder der Ärger über eine blöde Bemerkung von jemandem. Das Gefühl wird mitgeteilt. Darüber kann man reden, von ihm erzählen. Weinen und Lachen sind Affektäußerungen. Man fällt in diese Affekte gewissermaßen hinein, verweist Bude auf Helmut Plessner. Man kann sie nicht mehr kontrollieren.

Die Sendung zum Nachhören

Wie kommt man in eine Stimmung?

Stimmungen sind unfokussierte Wertungszustände nach Bude, nicht Wertungskategoerien oder Wertungshierarchien. Die Stimmung ist im Hintergrund. „Warum fühlt man sich plötzlich so niedergeschlagen? So eingekreist, so sehr um seinen Lohn gebracht? Wie kommt man in Stimmungen, in denen man Bäume ausreißen oder Bücher schreiben könnte? Sie überkommen einen plötzlich. Eine Stimmung vergeht nicht mehr so leicht. Sie bleibt und rieselt im Hintergrund“, betont Bude.

Focus Heinz Bude

Philosophicum Lech

Sie ist aber auch eine Umrahmung all dessen, was ich erlebe und was mir widerfährt. „Die Stimmungen setzen sich durch als eine Art Färbung meiner Existenz oder als ein Ton, der immer mitschwingt“, ergänzt Bude. Er verweist auf die Flüchtlingskrise: „Man kann in Panik geraten, man kann sie mit grimmiger Entschlossenheit ansehen und Sie können mit lächelnder Gelassenheit darauf reagieren. Es ist derselbe Sachverhalt, aber die Stimmung ist grundsätzlich eine andere“.

Über Gefühle und über Affekte kann man reden, z.B. von dem Punkt, ab dem sie ausgebrochen sind: „Bei Stimmungen weiß man nicht so genau, wie das alles so gekommen ist, weil sie mich mit der Befindlichkeit meiner Welt konfrontieren“, beschreibt der Soziologe. In der Stimmung findet sich das ICH in seiner eigenen Welt vor. Die Stimmung gibt es nur weil ich da bin. Ohne ich gäbe es diese Stimmung nicht. Sie ist für mich fast wie ein Gegenstand da. Ich kann mich zur Stimmung verhalten, wenn ich sie als solche wahrnehme.

Es gibt auch kollektive Stimmungen

Gibt es das, was es für Einzelpersonen gibt, auch für Kollektive? Nehmen wir ein Beispiel, gerettet vom 19. zum 20. Jahrhundert: Seit damals redet man von einer Stimmung an der Börse, der politischen Stimmung, der Stimmung einer historischen Periode. Das habe mit den Medien, mit dem Aufkommen der Tageszeitung - einer „Boulevard-Zeitung“ - zu tun. Eine bestimmte Meldung wird von vielen gleichzeitig zur Kenntnis genommen. Das Erregende ist die gleichzeitige Kenntnisnahme der Meldung.

Kollektive Stimmungen sind eine Publikumskategorie. Das Publikum konstituiert den Raum erlebter Anwesenheit. Das Publikum konstituiert sich über die Stimmung, die über eine Botschaft erzeugt wird, und das Publikum ist gleichzeitig eine virtuelle Masse.

„Wir sind in der Stimmung der Gereiztheit“

In der Gereiztheit prallen die Menschen in ihrer Stimmung aufeinander. Die Themen der Gereiztheit sind die große Unordnung in unserer Welt. Es geht um Macht und Ohnmacht. Es geht um Reichtum und Armut, Wahrheit und Lüge, Selbst-und Fremdbestimmung (Können wir in Europa noch machen was wir wollen?), eine Stimmung zwischen denen auf der Piazza und jenen in den Palazzi. Die da oben bereichern sich und wir müssen hier sitzen.

Bude beschreibt diesen Zustand mit „merkwürdiger Endzeitstimmung“. Die gesellschaftliche Periode des sozialen Ausgleichs, der Sozialpartnerschaft und der fairen Beteiligung sei zu Ende gegangen. Diese Periode heißt Neoliberalismus. Entfesselung der Mikroökonomie. Es galt der neoliberale Gedanke: Gute Politik ist die Stärkung des Einzelnen.

Heute wird die Stimmung der Gereiztheit durch eine Stimmung des Bedauerns begleitet. Wir haben etwas falsch gemacht und man weiß nicht, wie man da herauskomme, sagt Bude. Manche suchen Verbündete und nennen das Volk eine Masse von Erniedrigten und Beleidigten.

Die 2 Gottsucherbanden

Bude nennt die IT-Experten der Weltkonzerne. In Sillicon Valley werde an einer CLOUD gearbeitet, die alle Methoden des möglichen Wissens der Menschheit systematisieren will, um damit einen reinen Geist zu schaffen. In der Cloud seien alle Möglichkeiten der Konstruktion von Realität abgespeichert. „Sie sagen: Vergesst alles, bei uns findet ihr das Gold der Zukunft“.

Die andere Gottsucherbande sind die IS-Kämpfer; sie findet man in Mossul, in Gaza und als Schläfer unter uns. Sie sagen, es gibt eine ganz andere Zukunft, ihr könnt sie euch nur nicht vorstellen.

Es wird alles besser

Eine 150-jährige Geschichte kommt zu ihrem Ende. Der Abstand zwischen entwickelten und den nicht-entwickelten Gesellschaften werde kleiner. Das bezog sich auf 150 Jahre in denen Lebenschancen und Lebensstandards sich so entwickelten; jetzt haben sie sich umgekehrt: von den entwickelten zu den Schwellenländern, betont Bude. Seit 15 Jahren ist die Zahl der Menschen in extremer Armut um 750 Millionen zurückgegangen. Der Abstand der Ungleichheit zwischen den Gesellschaften nimmt ab. Wir leben in einer Welt, in der sich die Welt angleicht.

Gleichzeitig steigt die Ungleichheit in unseren westlichen Gesellschaften. In den USA hat die Lebenserwartung von weißen Männern ohne Collegeabschuss um fünf Jahre abgenommen. Die Lebenserwartungsdifferenz zwischen 16jährigen Weißen und Schwarzen Amerikanern mit Schulbildung liegt bei 12 Jahren. „Es geht um die STIMMUNGSDIFFERENZ zwischen einer vergehenden und einer kommenden Zeit“.

Zur Person:

Prof. Dr. Heinz Bude, Jg. 1954, Studium der der Soziologie, Philosophie und Psychologie an der Universität Tübingen und an der Freien Universität Berlin, Habilitation über die Herkunftsgeschichte der 68er-Generation. Lehrstuhlinhaber für Makrosoziologie an der Universität Kassel.

Literatur zur Sendung:

Heinz Bude, Das Gefühl der Welt. Über die Macht von Stimmungen. Verlag Carl Hanser

Didier Eribon, Rückkehr nach Reims. edition suhrkamp. Tobias Haberkorn (Übersetzer)

Achille Mbembe, Kritik der schwarzen Vernunft. edition suhrkamp.

Musik:

CD* DRACHENHAUT UND ROSENMUND - MÄRCHEN VON DER LIEBE
T* Einleitung / Improvisation über das Lied Übern See