„Wer stellt uns die Gießkanne für die Begeisterung ab?“

Mit Förderprogrammen meinte man, die Hirnaktivitäten beeinflussen zu können. Das Gehirn wird aber nicht so, wie man es benutzt, sondern es wird so, wie man es mit Begeisterung benutzt, sagt Hirnforscher Gerald Hüther.

Sendehinweis: „Radio Vorarlberg“, 27.8.2016

Videoversuch: Identifikation mit dem Erfolgreichen

Versuche mit 6-Monate alten Babys zeigen, dass sie mehrheitlich auf gemeinschaftliche Hilfe setzen und je älter sie werden, umso augenscheinlicher wird es, dass es auch bei ihnen darum geht, sich gegen andere durchzusetzen. Für den Hirnforscher Gerald Hüther lernt das Kind, dass es in seiner Familie jemanden gibt, der sich sehr erfolgreich durchsetzt.

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Das Kind identifiziert sich mit dem Erfolgreichen, sagt Gerald Hüther. Gleichzeitig schließt Hüther die Kritik an, dass wir es den Kindern sehr ungünstig vorlebten. Es müsste jemand kommen, der diesen Kindern hilft, nochmals eine andere Erfahrung zu machen, vom Kindergarten bis Schule, wo man nur mit Ellenbogen weiterkommt und Prof. Hüther ergänzt: "Die Kinder werden glauben, dass es ein Leben lang nur darauf ankommt, die anderen wegzuschieben. So sind viele Kinder groß geworden und damit kann man keine Zukunft aufbauen.“

Das „ver-schaltbare“ Gehirn

Wir haben ein Gehirn, das ist veränderbar: „das ganze Leben lang kann man eine neue `Verschaltung` in die Birne bekommen,“ ermutigt Professor Hüther.
Man hat lange gemeint, das Gehirn sei ein Muskel, es werde so, wie man es benutzt.

Es gab lange den Irrglauben, man könne durch Frühförder-programme für Kinder bestimmte Regionen im Gehirn so beeinflussen, dass sich das Gehirn diesen Einflüssen anpasse. Die Folge war eine Fehlanzeige: „Das Gehirn wird nicht so wie man es benutzt, sondern das Gehirn wird so wie und wofür man es mit Begeisterung benutzt.“ sagt Gerald Hüther.

Voraussetzung ist, dass es mir wichtig sein muss. Die inneren Vorgänge, die dadurch ausgelöst werden bedeuten, dass wunderbare Botenstoffe, die neuroplastischen Botenstoffe, ausgeschüttet werden:
"Im Gehirn wächst nicht alles, sondern im Hirn wächst das, wofür man sich begeistert. Bei entsprechender Begeisterung könne ein 85-Jähriger auch noch Chinesisch lernen.

Wir haben ein Begeisterungsproblem

„Wer stellt uns die wunderbare Gießkanne ab?“, dass uns die Begeisterung im Laufe des Lebens verlorengeht, fragt Professor Hüther rhetorisch? Die Kinder wissen es noch, wir Erwachsene haben vergessen, was im Leben wirklich bedeutsam ist. Wir kümmern uns um zu viel " Sch...", klagt Professor Hüther, damit bekommen die Menschen das Wichtige nicht mehr mit.

Zur Person:

Gerald Hüther studierte Biologie in Leipzig, wo er auch promovierte. Ende der 1970er Jahre floh er mithilfe selbst gefälschter Visastempel im Reisepass über mehrere osteuropäische Blockstaaten nach Jugoslawien und von dort in die BRD nach Göttingen. Er leitet die Abteilung für neurobiologische Grundlagenforschung an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen auf.

Hüther leitet in Zusammenarbeit mit dem Pädagogen Karl Gebauer seit 2002 das Informationsnetzwerk WIN-Future und den jährlich stattfindenden Göttinger Kongress zu Erziehungs- und Bildungsfragen.

Literaturtipp:

Gerald Hüther: Was wir sind und was wir sein könnten - ein neurobiologischer Mutmacher