Die Kunst der Gelassenheit und der Achtsamkeit

Lienhard Valentin, international bekannter Achtsamkeitslehrer, Gestaltpädagoge und Buchautor, spricht in Focus über die Kunst der Achtsamkeit und Gelassenheit.

Sendehinweis:

„Focus“, 19.9.2015, 13.00 bis 14.00 Uhr, ORF Radio Vorarlberg
24.9.2015, 21.00 bis 22.00 Uhr (WH)

Wenn Kinder ihre Eltern mitunter an den Rand des Wahnsinns treiben können wie sonst kaum jemand, hören sich Eltern in einem Tonfall reden, den sie schon als Kinder gehasst haben, sagt Lienhard Valentin. Es geht in dem Vortrag schon auch mehr um uns Erwachsene als um die Kinder, damit sie sich auch harmonisch entfalten können.

Die Sendung zum Nachhören:

Alle Ansätze, mit denen man sich in der Theorie so wunderbar beschäftigen kann, fliegen in der entsprechenden Situation aus aus dem Fenster und sind weg. „Und so sind all diese Theorie-Ansätze Landkarten und ich finde es sinnvoll und wichtig auch Landkarten für die Orientierung zu haben“, betont Valentin. Wenn man dabei nicht vergesse, dass jedes Kind ein Land für sich ist und sich ständig verändert und nicht mit der Gebrauchsanleitung auf die Welt kommt.

Lienhard Valentin

Arbor Verlag

Lienhard Valentin

Das Reptiliengehirn

Paul D. MacLean lieferte wertvolle Hinweise zur Hirnforschung. Er hat als Erster das dreiteilige Modell beschrieben: Das Stammhirn - auch Reptiliengehirn genannt - zuständig für alle automatischen Regelvorgänge (Verdauung, Atmung, Temperaturregelung, der Territorialtrieb und der Sexualtrieb, allerdings ohne Bindung bzw. Beziehung). Dieser Teil ist, wenn das Kind geboren wird, weitestgehend fertig.

Das limbische System nannte McLean das Säugetiergehirn: Es ist das komplexeste System im Universum, das bislang entdeckt wurde. Es ist verantwortlich für den sozialen Zusammenhalt und für das soziale Gebilde.

Wer übernimmt die Führungsstruktur?

Die äußerste Struktur ist das Großhirn, man meinte früher, das sei das nur den Menschen eigene Gehirn, dabei haben auch Schimpansen bis auf 95 Prozent das gleiche Gehirn wie wir. Es gibt die Vermutung, dass diese drei Teile zu schnell übereinander gestülpt worden sind und so entstehen nicht nur hohe soziale Bindung, sondern auch ein gewisses Raubtierverhalten. Weil die drei Teile nicht gut integriert sind, verfolgen sie ihre eigenen Ziele. Teile übernehmen die Führungsstruktur und folgen den alten Trieben.

Unser Bedrohungssystem

Unser Bedrohungssystem fühlt sich nicht durch den körperlichen Überlebenskampf bedroht, sondern wir fühlen uns mehr emotional bedroht. Bei Gefühlen wie Hilflosigkeit, Ohnmacht, Scham, Wut, wenn wir uns emotional bedroht fühlen, springt unser Bedrohungssystem an, weil wir gelernt haben, dass das gefährlich ist.

Wer sitzt im Lebens-Bus am Steuer?

Valentin vergleicht unsere Lebensreise mit einem Lebens-Bus. In ihm sitzen alle möglichen Wesenheiten. Vater, Mutter, Kinder, die auf ein harmonisches und selbstentfaltendes Leben bauen.

Da ist aber auch der Höhlenmensch mit der Keule, der uns bei Gefahr beschützen will. Es sitzt das verletzte Kind, ein Kritiker, ein Antreiber mit drin und all diese Stimmen hören wir. Ein wesentlicher Teil in uns sei nicht der warmherzige, sondern in unserer Kultur der strenge und kritische Anteil, sagt Lienhard Valentin. Je nachdem wer am Steuer sitzt, wird entschieden, in welche Richtung fährt der Bus. Zu jedem dieser Teile sagen wir ICH, aber es sind jeweils unterschiedliche Teile von UNS.

Negative : positive Erfahrungen

Wir lernen aus negativen Erfahrungen schneller als aus positiven. Wenn wir einmal eine negative Erfahrung mit einem Hund gemacht haben, brauchen wir ewig, wieder entspannt mit einem Hund umzugehen. Hat uns jemand verletzt, braucht es viele Maßnahmen, bis wir uns dem Auslöser der Verletzung wieder öffnen können. Man sollte den positiven Erfahrungen mehr Aufmerksamkeit widmen. Es gehe auch im Umgang mit Kindern darum, diese negativen mit den positiven auszubalancieren, damit nicht immer die negativen die Oberhand bekommen.

Die menschliche Vorstellungskraft

Auch Segen und Fluch unserer menschlichen Vorstellungskraft raubt uns Gelassenheit. Sie kann sich die grausamsten Szenarien ausdenken. Daraus kann ein Dauerstress entstehen, der unser Immunsystem oder unsere Verdauung angreift.

Wir kommen als soziale Wesen auf die Welt und brauchen gute Beziehungen. Es gibt keinen Erwachsenen oder kein Kind, das sich gut fühlt und schlecht benimmt, betont Lienhard Valentin. Ein Kind will sich sicher und gefühlt fühlen. Man will aber auch sein eigenes Leben leben. Das Bedürfnis nach Souveränität, sich entwickeln, über sich hinauszuwachsen ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis.

Achtsamkeit

Der Begriff Achtsamkeit wird inflationär gebraucht. Eine liebevoll verbundene Präsenz im gegenwärtigen Moment. Damit wir gelassener werden, müssen wir uns uns selbst liebevoller - achtsamer- zuwenden.

Wir lernen auf unseren Gefühlen, die auch heftig sein können, zu surfen. Es geht darum, dass Mensch auch in schwierigen Situationen nicht zu früh das Steuer abgibt. Wir sind anders als die Kinder, die in Trance des Erlebens sind, sind Erwachsene oft nicht recht „wach“ im Umgang mit den täglichen Begebenheiten: ein Beispiel unter der Dusche, wir nehmen nicht das warme Wasser, oder den Geruch der Seife wahr. Damit bekommen Kinder von Erwachsenen oft nicht jene Resonanz, die sie benötigten.

Zur Person:

Lienhard Valentin ist ein international bekannter Achtsamkeitslehrer, Gestaltpädagoge und Buchautor. Er gründete den Arbor Verlag, den Verein Mit Kindern wachsen und die gemeinnützige Arbor-Seminare GmbH. Sein Schwerpunkt liegt in der Integration von Achtsamkeit und Mitgefühl ins tägliche Leben - vor allem auch von Eltern und Pädagogen. Eines seiner neuesten Projekte ist, die Ausbildung von Rick Hanson (Selbstgesteuerte Neuroplastizität) in den deutschsprachigen Raum zu bringen.

Die von ihm gemeinsam mit Katharina Martin, Britta Hölzel und Stefan Machka konzipierte Grundausbildung „Achtsamkeit leben - Achtsamkeit lehren“ findet großen Anklang und wird regelmäßig in verschiedenen Städten in Deutschland und Österreich durch Arbor Seminare angeboten.

www.arbor-verlag.de

Literatur:

Lienhard Valentin u. Petra Kunze, Die Kunst gelassen zu erziehen. Achtsamkeit im Leben mit Kindern. Arbor Verlag.

Alfie Kohn, Liebe und Eigenständigkeit. Arbor Verlag

Arthur Koestler, Sonnenfinsternis, Elsinor.

Arthur Koestler, Der Mensch - Irrläufer der Natur, Fischer Sachbuch.

MUSIK:

G* Konzert GMVS 20061117 D0232/1-10 /
Psappha - für Schlagzeug solo
SHOWDOWN AT MUSIKVEREIN 2006
S: Martin Grubinger/Percussion

G* Konzert GMVS 20061117 D0232/1-10 /
Rebond Part b - für Schlagzeug solo
SHOWDOWN AT MUSIKVEREIN 2006
S: Martin Grubinger/Percussion

BRIDGE OVER TROUBLED WATER (INSTR.)
Interpret:DAVID ROACH