"Erschöpfungsmüdigkeit im Kapitalismus“

Prof. Dr. Heiner Keupp, Sozialpsychologe, spricht in der Sendung Focus über "Burnout - Erschöpfungsmüdigkeit im globalisierten Kapitalismus“.

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„Es werden vor allem Antidepressiva verordnet.“ In Deutschland ist die Verschreibung bei Männern um 190, bei Frauen um 90 Prozent angestiegen. Warum sind Ärzte heute so schnell bereit, die Diagnose Burnout zu stellen, fragt Prof. Keupp.

Es hat meist damit zu tun, dass der Arzt angesichts der großen Erschöpfung oft eine schnelle Hilfe geben will. Keupp sieht in den Zuwachsraten und der rein medizinisch-klinischen Lösung eine Problematik.

Sendungshinweis:

Focus, 13.9.2014

Der Mensch als Verwandlungskünstler

Heiner Keupp macht deutlich, dass der sich fordernde Mensch im Arbeitsleben oft gezwungen ist, sich zu „verwandeln“. Für den Erfolg tut er alles. „Man muss sich über die Chance freuen, Identitäten anzunehmen und wieder abzulegen und das Leben auf der Jagd nach immer neuen Erlebnissen anzunehmen. Diejenigen, die das nicht schaffen, sind der Schmutz der postmodernen Reinheit.“

Heiner Keupp

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Heiner Keupp

Byung-Chul Han, Professor für Philosophie und Medientheorie, ortet einen Wandel bei der Haltung zur Arbeit. Früher war Arbeit belegt vom Zwang gegen die eigenen Bedürfnisse und Wünsche in die Arbeit zu gehen unter entfremdeten Verhältnissen. Heute sind Menschen nach Han viel stärker bestimmt von ihren positiven Seiten, weil sie zeigen können und wollen, was sie leisten können, dass sie etwas in die Hand nehmen und gestalten wollen. Es sei diese Positivität des Könnens im Gegensatz zur Negativität des Sollens.(Du musst...). Die Gewalt der Positivität hat zur Folge, dass die Menschen gefährdet sind, sich selber auszubeuten.

Das NOCH MEHR und das NICHT-GUT-GENUG

Menschen passen sich heute der unaufhaltsamen Beschleunigungsdynamik des Kapialismus an. Der gesellschaftliche Parcour hat kein Maß, wo man ankommen kann, sondern es ist der erbrachte Rekord, der immer noch einmal gesteigert werden kann. Nach Prof. Keupp setzt sich dieser Gedanke in der WELLNNESS-Kultur fort; da kann man noch mehr aus seinem Körper machen, mehr aus ihm herausholen. Man lässt sich zum Teil von außen Ziele, Werte, Normen vermitteln, die man nie erreichen kann, die man auch in die eigene Psyche integriert, die eine permanente innere Unzufriedenheit zum Ausdruck bringt.

Die Kohärenz: über Dinge, die zusammenhängen

Dazu gehört, dass man Dinge versteht. Es geht auch um deren Handhabung. Ich muss Dinge gut in die Hand nehmen. Wichtig ist auch die erkannte Bedeutsamkeit, es meint den Sinn darin zu sehen, für etwas zu kämpfen und zu leben.

Wir benötigen einen sozialen Nahraum; also Netzwerke und Personen, auf die ich mich verlassen kann, die mir eine Verortung und Vertrauen ermöglichen.
Wichtig sei auch, dass ich mich einbringen, dass ich mit-gestalten und etwas zum Besseren wenden, etwas bewegen und mich verwirklichen kann.
Wichtig sind nach Prof. Keupp auch Teilhabefunktionen, wie sie die Inklusion auch nennt: Gesellschaftlich wichtig für einen Menschen ist Geld, über das er verfügen kann, eine eigene Wohnung und die eigene Arbeit. Nicht weniger bedeutend ist die
kulturelle Ebene, sprich Bildung, Wertorientierungen durch die Religion und auch Ästhetik.

Prof. Heiner Keupp hat diesen Vortrag auf Einladung der sozialpsychiatrischen Dienste des Arbeitskreises für Vorsorge und Sozialmedizin in der Remise Bludenz gehalten.

Zur Person:

Prof. Dr. Heiner Keupp ist ein deutscher Sozialpsychologe und emeritierter Professor der Ludwig-Maximilians-Universität München. Keupp studierte Psychologie und Soziologie in Frankfurt, Erlangen und München. In Frankfurt gehörten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer zu seinen Lehrern. Seit 2008 ist Keupp im Ruhestand. Er ist weiterhin an den Universitäten Bozen, Innsbruck, Krems und Klagenfurt in der Lehre tätig. Keupp engagiert sich für die Erforschung und praktische Förderung bürgerschaftlichen Engagements.

Literatur:

Heiner Keupp und Helga Dill.
Erschöpfende Arbeit: Gesundheit und Prävention in der flexiblen Arbeitswelt.transript.

Byung-Chul Han. Müdigkeitsgesellschaft. Matthes und Seitz Berlin.
Wolfgang Schmidbauer. Alles oder nichts. Über die Destruktivität von Idealen. Rororo.

Musik:

AMACORD Wien