Nicht der Wunsch, der Wille ist gefragt

Prof. Dr. Wolfgang Hinte, Sozialarbeitswissenschaftler Universität Duisburg-Essen, spricht diese Woche in Focus zu: Nicht der Wunsch, der Wille ist gefragt.

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Sendehinweis:

Focus, 26.4.14

Gemeinwesenarbeit fragte in den 1970-er Jahren „Wo drückt den Menschen der Schuh“.
Die Sozialarbeit fragte damals, was können wir den Leuten Gutes tun und wo können wir Menschen schützen.
Laut Wolfgang Hinte ist sozialraumorientierte Soziale Arbeit keine neue Theorie, „sondern eine unter Nutzung und Weiterentwicklung verschiedener theoretischer und methodischer Blickrichtungen entwickelte Perspektive, die als konzeptioneller Hintergrund (Fachkonzept) für das Handeln in zahlreichen Feldern sozialer Arbeit dient.“

„Wir haben immer auch gefragt, was können die Menschen selbst tun?“ Ihr müsst selbst etwas tun und euch selbst organisieren, hieß die Hinte`sche Losung. Sozialraumorientierung will in Anlehnung an dieses Prinzip der Gemeinwesenarbeit diese Ansätze wieder einfangen. Sozialraumorientierung setzt immer bei den Interessen der Leute an. Davon leitet
Prof. Hinte sein Konzept mit „5“ Prinzipien ab.

Das 1. Prinzip

" Was die Menschen wollen"

Dieses Prinzip hat, wenn man es ausbuchstabiert, unglaubliche Folgen für das soziale Handeln, sagt Prof. Hinte. Was heißt es beim Willen anzusetzen? Was ist der Wille eines Menschen? Es gehe um die Kluft zwischen dem „Ich will“ und dem „Ich hätte gerne“ oder „Schön wäre, wenn ich kriegen könnte“.
Die Kernfrage zur Änderung der Problemstellung sei das Erkunden des Wollens von Menschen. Der Wille kennzeichnet, dass ich erreichen kann, was ich benenne. Die Frage sei immer, so Hinte, ob soziale Arbeit auf ein gewolltes oder ein `gesolltes` Leben abzielt? Das zielt darauf ab, um zu einem Leben zu kommen, das ich will oder zu einem, das sich an einem Soll-Verhalten orientiert.

Das 2.Prinzip

„Es gibt immer nur so viel Hilfe wie nötig und so wenig Hilfe wie möglich“

Wichtig ist daran, dass nicht die Betreuung die Maßgabe ist, sondern das Aktivieren. Die Frage lautet immer, was kannst du selbst tun. Die Losung in der Sozialarbeit laute: „Arbeite nie härter als dein Klient“. Es sollte den Menschen Mut machen, ihr Leben in die Hand zu nehmen. „Würde bekomme ich nicht was andere für mich, sondern durch das, was ich tue“. Die Kunst unserer Systeme müsste darin bestehen, dass die Menschen immer selbst etwas tun können. Sozialarbeit sei keine Betreuungsdusche sagt Hinte, sondern ein positiv besetzte Zumutung an einen Menschen, der selbst etwas kann, das auch selbst tun will.

Das 3.Prinzip

„Wir setzen imemr an den Ressourcen der Menschen an“

Man geht davon aus, dass es bei allen Stärken und Schwächen einer Person- alles, was sich zeigt eine potenzielle Stärke ist. es gibt immer Fähigkeiten, die die Menschen haben. Die Beschreibung von Defiziten von Klienten ermöglicht die Lukrierung von Geld, beklagt Hinte und nennt diese Defizitauflistung eine berufsbedingte Deformation. Er meint, das sei der Widerspruch: die Welt defizitär erklären und letztlich sich an Ressourcen der Klienten orientieren.

4. Prinzip

„Zielgruppen-übergreifend arbeiten“

Wolfgang Hinte tritt für ein zielgruppen-übergreifendes Arbeiten ein: Er rät davon ab, wenn Sozialarbeit für spezielle Projekte und Gruppen gemacht wird, z.Bsp. für Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Kinder und Jugendliche, nur mit diesen Gruppen zu arbeiten.

Es müssten auch andere Gruppen miteinbezogen werden, mit denen die Betroffenen auch zu tun haben: bei Sozialhilfeempfängern sind es z.Bsp. Arbeitgeber und Arbeitsmarktservice, bei bei Kindern und Jugendlichen gehören die Erwachsenen dazu, bei Frauen sind es die Männer... Geld für Zielgruppenprojekte bedeute immer eine Stigmatisierung. Die zunehmende Spezialisirung sei ein Grundproblem der sozialen Arbeit, sagt Hinte. In Deutschland gebe es oft zu schnell eine Spezialeinrichtung im Sozialbereich, beklagt Hinte.

5. Prinzip

„Eine transparente Kooperative Landschaften schaffen“

Eine transparente Kooperative Landschaft lebt davon, dass Träger voneinander wissen, wie viel Geld der jeweils andere Träger wofür bekommt, es bedeutete auch, dass man untereinander Personal austauscht. Der Betreuer verfolgt den betroffenen durch das System und nicht umgekehrt, so Hinte. Das erfordert Durchlässigkeit und gegenseitige Transparenz. Das erfordert auch ausfinanzierte Sicherheit meint Prof. Hinte. Kooperation funktioniert nur auf der Grundlage von vertrauen innerhalb einer solchen Soziallandschaft. Wenn irgendetwas nicht funktioniert, dann sind es Konkurrenz und Markt in dieser Sozial-Landschaft. Wenn das Geld knapper wird, hilft nicht das Konkurrenz, sondern das Kooperationssystem. Kooperation ist eine Ressource und Konkurrenz macht das System kaputt.

Sozialraumorientierte Soziale Arbeit ist somit ein hochgradig personenbezogenes Konzept, sowie gleichzeitig eines mit sozialökologischen und auf die Veränderung von Verhältnissen angelegten Zielen. Damit kommt es zur Integration von zwei elementaren Handlungsansätzen der Sozialen Arbeit.

Zur Person:

Prof.Dr.Wolfgang Hinte (* 18. Mai 1952 in Oberhausen) ist Sozialarbeitswissenschaftler und Vater des Konzepts Sozialraumorientierung. Hinte studierte Pädagogik, Psychologie und Soziale Arbeit und wurde 1978 an der Universität-Gesamthochschule Essen promoviert.An der Universität Duisburg-Essen ist Hinte seit 1980 Professor und leitet seit 1985 das Institut für Stadtteilentwicklung, sozialraumorientierte Arbeit und Beratung (ISSAB) am Campus Essen.

Zur Sozialraumorientierung :

www.amt-suedtondern.de

Literatur:

Sozialraumorientierung - Fachkonzept oder Sparprogramm?
Fehren, Oliver. - Freiburg, Br. : Lambertus, [2013]

Musik:

CD: Accordion tribe- Sea of Reeds
Verlag Intuition