Markus Hengstschläger: „Alles Durchschnitt oder was?“

Der Wiener Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger spricht in der ORF Radio Vorarlberg-Sendung „Focus“ über das Thema „Was ist normal? Alles Durchschnitt oder was?“.

Die Sendung zum Nachhören

Sendungshinweis:

„Focus“, 23.2.2013

ThinkTank „Academia Superior“

Er habe mit anderen Wissenschaftlern in Oberösterreich einen ThinkTank (Denkfabrik) eingerichtet, dabei gehe es um verschiedenste Themen, sagt Markus Hengstschläger. Fragestellung und Überlegung sei gewesen, worauf will der Mensch sich einlassen? Die Menschen scheinen mit der Vergangenheit zufrieden zu sein. Sie seien mehrheitlich stolz, was es in Österreich gibt - auch mit der Gegenwart. Es gehe auch nicht um die Zukunft, die man vorhersehen könne, sondern darum, wie man sich heute auf eine Zukunft, von der man nicht wisse welche Fragen sie bringen werde, einstellen könne.

Hengstschläger Focus

Martin Vukovits

Markus Hengstschläger.

Das Zukunftskapital „Mensch“

Bei der Beschäftigung mit dieser Idee habe er festgestellt, dass aus seinem Fach heraus, auf Grund von zwei Argumenten sich Lösungsvorschläge anbieten. Einerseits, weil die Evolution ein sehr biologisches Konzept eigentlich immer versucht hat, ein möglichst hohes Niveau zur Beantwortung von Zukunftsfragen zu erreichen, um gut gerüstet zu sein. Zweitens habe er in seinem Fach festgestellt, dass das höchste Kapital in unserer Gesellschaft das Repertoire an Talenten, an besonderen Leistungsvoraussetzungen und Eigenschaften der Menschen im Land sei."

Dabei spielten genetische Anlagen- mal mehr mal weniger- eine entscheidende Rolle. Wie bereitet sich ein Land auf den unvorhersehbaren Teil der Zukunft vor? Es sei das Humankapital, auf das sich unser Land verlassen könne bzw. verlassen sollte.

„Die falsche Vorgangsweise“

Ein Beispiel, das Professor Hengstschläger immer wieder bringt, spielt im Turnsaal: Ein Ball wird irgendwann von irgendwem in den Raum geworfen. Ein Lehrer muss 20 Kinder aufstellen - mit dem Ziel, dass einer von ihnen den Ball fängt. „Was macht der Lehrer“, fragt Hengstschläger, um gleich die Antwort zu geben: „Er wird die Kinder in der Mitte des Saales postieren.“ Warum? Weil der Ball die letzten zehn Male entweder von links oder von rechts gekommen ist. „Der Durchschnitt ist also in der Mitte.“ Das glaube auch die Politik.

Um das zu eruieren, werden Meinungsumfragen in Auftrag gegeben, Ländervergleiche angestellt, Beraterteams engagiert, sagt Hengstschläger und meint damit das zögerliche Agieren der österreichischen Politik. Nach der Devise: „Hauptsache, man irrt sich nicht alleine.“ Es sei „einfacher, mit der Mehrheit zu irren, als alleine recht zu haben“. „Individualität und Flexibilität“, predigt er, seien die Zauberwörter, um Zukunftsfragen zu lösen. Diesem Credo folgend müssten die Kinder quer über den Turnsaal platziert werden, um die Chance zu erhöhen, den Ball zu fangen. Und nicht in der Mitte.

Das System der Individualität

Dem setzt Prof. Hengstschläger ein System, das auf Individualität beruht, gegenüber. Für ihn hat die individuelle Perspektive eine hohe Chance auf Fragen, die aus der Zukunft kommen auch wirklich mit Antworten begegnen zu können, sagt Professor Hengstschläger. Jeder Mensch sei individuell, die Genetik kenne keinen Durchschnitt, weil der Mensch sei individuelles Rüstzeug von Anfang an habe. „Da mögen besondere Leistungsvoraussetzungen drinstehen, da mag der eine oder andere Vorteil für das einen oder andere dastehen, aber bei dem Begriff Talent orte ich schon das nächste Problem“, umschreibt der Genetik-Professor die österreichische Problemstellung.

"Richtige oder/und falsche Talente?“

"Wir verwenden den Begriff Talent falsch und wir werten Talente“, stellt Hengstschläger unseren Umgang mit dem Begriff in Frage. Eine Opernsängerin oder ein Fußballstar würden gemeinhin als unglaubliche Talente qualifiziert. Was man höre oder sehe, sei nicht das Talent, sondern das ergebe sich aus zwei Komponenten; einerseits besondere Leistungsvoraussetzungen jedes Einzelnen, da könnten Gene eine Rolle spielen; was andererseits aber viel wichtiger sei, sei harte Arbeit, um diese besonderen Leistungsvoraussetzungen zu entdecken und dann harte Arbeit, um diese Leistungsvoraussetzung in Leistung umzusetzen und diese Leistung sei möglicherweise der Erfolg.

„Eine der Durchschnittsfallen“

Kommt ein Schüler mit drei Nicht genügend und einem Einser nach Hause, führt Hengstschläger aus, so werden die Eltern mit einer Schelte reagieren. Sie werden Nachhilfelehrer engagieren, um die Scharte in diesen Fächern wieder auszumerzen. Das Fach mit dem Einser werde ignoriert statt zusätzlich forciert, weil: „Da ist er eh schon so gut.“ Mit dem Resultat, dass der Schüler in allen Fächern Durchschnitt wird, moniert Hengstschläger, um im selben Atemzug wieder zu relativieren, dass natürlich auch die Fünfer ausgebessert gehören. Aber wie? „Üben, üben, üben. Ohne das geht nichts.“

Zur Person:

Univ.-Prof. Dr. Markus HengstschlägerLeiter des Instituts für Genetik an der Medizinuni Wien. Promovierte mit 24 zum Doktor der Genetik, mit 35 wurde er zum jüngsten Universitätsprofessor für medizinische Genetik.

Literatur:

Das ungeborene menschliche Leben und die moderne Biomedizin. Maudrich Verlag Wien 2001,

Kranke Gene - Chancen und Risiken von Gentests. Facultas Verlag Wien 2003

Die Macht der Gene. Ecowin Verlag, Salzburg 2006 sowie Piper Verlag

Endlich Unendlich. Ecowin Verlag, Salzburg 2008

Die Durchschnittsfalle: Gene - Talente - Chancen. Ecowin Verlag, Salzburg 2012,