Vernichtendes Zeugnis für Schulkind-Betreuung

Der Rechnungshof Vorarlberg hat sich die Schulkind-Betreuung in den allgemeinbildenden Pflichtschulen angeschaut und kritisiert das Land ungewöhnlich scharf: Es gebe keine konkreten Zahlen über die aktuelle Betreuungssituation. Außerdem fehle die finanzielle Übersicht im Land.

2011 bis 2017

Prüfraum: 2011 bis 2017. Fallweise wurde auf aktuelle Entwicklungen Bezug genommen.

Für den Rechnungshof war es schwierig, den Betreuungsdschungel in Vorarlberg zu durchblicken. Verschiedenste Betreuungsformen würden oft vermischt angeboten und einfach unter dem Namen „Schülerbetreuung“ laufen, sagt Landesrechnungshof-Direktorin Brigitte Eggler-Bargehr.

Beurteilung der Situation nicht möglich

Außerdem gebe es keine konkreten Daten über den aktuellen Betreuungsstand in Vorarlberg. Laut Rechnungshof konnte deshalb nicht festgestellt werden, wie viele Kinder seit 2011 in welchem Ausmaß – z.B. eine Stunde oder die ganze Woche – welche Betreuungsformen in Anspruch nehmen.

Rechnungshof zu Schulkinderbetreuung

Der Prüfbericht des Landesrechnungshofes über die Schülerbetreuung an Pflichtschulen fiel ernüchternd aus.

Laut Rechnungshof dürften es im vergangenen Schuljahr knapp 11.500 Kinder gewesen sein, die eine Betreuungsform in Anspruch genommen haben. Zu diesem Zeitpunkt habe es in Vorarlberg maximal 75 verschränkte Ganztagsklassen gegeben, im Schuljahr 2014/15 höchstens 54. Von einer Verdoppelung des Angebots - dem Ziel der Landesregierung - ist Vorarlberg laut Eggler-Bargehr jedenfalls weit entfernt.

Fördermittel nur zur Hälfte abgeholt

Auch gebe es keine Finanzierungsübersicht, da Kosten von Gemeinden und Erziehungsberechtigten nicht zentral erfasst seien. Für Förderungen und Personal in der Schulkindbetreuung wendeten Bund und Land laut RH im Prüfzeitraum jährlich im Durchschnitt 7,21 Mio. Euro auf. Für Ganztagsschulen trug der Bund den überwiegenden Anteil der Kosten. Er stellte für deren Ausbau Fördermittel in Höhe von 28,79 Mio. Euro für die Jahre 2011 bis 2018 bereit - die aber nur zur Hälfte ausgeschöpft wurden.

Es sei „vorrangig um die Ausschöpfung der Bundesmittel für die Ganztagsschulen“ gegangen sei, sagt Eggler-Bargehr - „und weniger um die Erreichung der entsprechenden Förderziele.“ Dass trotzdem nur die Hälfte in Anspruch genommen wurde, lasse sich folgendermaßen erklären: „Die erste [Erklärung] ist: Wir brauchen im Land nicht mehr Ganztagesschulen. Die zweite Erklärung ist: Man hat sie einfach auch zu wenig forciert.“

Rechnungshofbericht im Detail:

RH Schülerbetreuung
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Gesamt-Koordination fehlt

Im Amt der Landesregierung seien drei Abteilungen mit Themen der Schulkindbetreuung befasst, insgesamt mit geringen Personalressourcen. Eine Koordination fehle, kritisiert der Rechnungshof. Die Förderabwicklung für Personalkosten erfolge manuell und sei fehleranfällig. Vereinfachungen und Qualitätsverbesserungen sind laut RH zeitnah umsetzbar. Die Etablierung einer digitalen Förderabwicklung sei voranzutreiben.

Landtag 2016,  Landtag 2016, Barbara Schöbi-Fink ÖVP

Mathis

Landesrätin Barbara Schöbi-Fink

Schöbi-Fink kündigt Schritte an

Bildungslandesrätin Barbara Schöbi-Fink (ÖVP) - sie hat ihr Amt erst nach dem Prüfzeitraum eingenommen - kündigt an, die Anregungen des Rechnungshofprüfberichts Schritt für Schritt umzusetzen. Sie gibt dem Rechnungshof Recht, dass das System grundsätzlich kompliziert sei und in Zusammenarbeit mit dem Bund vereinfacht werden muss. Schöbi-Fink räumt aber ein, dass das ein aufwändiger Prozess sei und viele Partner im Moment eingebunden sind.

In den vergangenen Jahren habe der Überblick über die verschiedenen erhobenen Daten gefehlt: „Das hat die Abteilung aber schon vor einem Jahr erkannt und war sukzessive dabei, das auch auf bessere Beine zu stellen, klarer nachvollziehbar zu machen.“

„Werden Ziel nicht erreichen“

Die Einschätzung von Eggler-Bargehr, dass das Land das Ziel, die Zahl der Ganztagesklassen zu verdoppeln, verpassen wird, stimme durchaus, räumt die Landesrätin ein: „Wir werden wahrscheinlich das Ziel, das wir im Regierungsprogramm festgelegt haben, nämlich die Zahl an Ganztagesklassen zu verdoppeln, das werden wir nicht erreichen.“

Grund dafür sei die Wahlfreiheit der Eltern: „Wir können die ganztägige Schulform anpreisen als eine gute Form, damit wirklich jedes Kind auch gut gefördert wird und dass Familie und Beruf vereinbar ist, aber wir können die Eltern nicht dazu zwingen.“ Zur Kritik, dass das Land habe nur die Hälfte der möglichen Bundesgelder abgeholt habe, stellt Schöbi-Fink klar: Da der Ausbau der Ganztagsklassen mangels Bedarf oder Interesse der Eltern nur langsam vonstatten gehe, wäre es unredlich, mehr Bundesgelder abzuholen als dem Land zustehen. Die Zahl der ganztägigen Schulklassen sei auf 85 gestiegen.

Kritik von der Opposition

Für Daniel Zadra, Bildungssprecher der Grünen, im Landtag, steht außer Frage, dass es massiven Verbesserungsbedarf bei der Schulkind-Betreuung gibt. Er schlägt dafür eine zentrale Koordinierungsstelle für alle Betreuungsformen vor. Für SPÖ-Bildungssprecherin Gabi Sprickler-Falschlunger ist klar, dass in dem Bericht massive Mängel aufgezeigt worden sind und man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Die Sozialdemokraten fordern einen sofortigen Krisengipfel.

Für NEOS-Landessprecherin Sabine Scheffknecht hat die Landesregierung komplett versagt. Sie will, dass die Organisation der Schülerbetreuung und den Ausbau der Ganztagesklassen endlich auf neue Beine gestellt wird. FPÖ-Klubobmann Daniel Allgäuer sieht einiges im Argen und fragt sich, warum sich die schwarz-grüne Landesregierung überhaupt die Verdoppelung der verschränkten Ganztagesklassen als Ziel gesetzt hatte, wenn fundiertes Datenmaterial fehlt.

Betreungsformen an den Pflichtschulen

Schulkinder können außerschulisch in Mittags-/Nachmittagsbetreuungen oder im Rahmen einer getrennten oder verschränkten Ganztagsschule betreut werden. Diese Betreuungsformen finden örtlich in der Regel an der Schule statt. Während die Ganztagsschule auch Bildungsziele verfolgt, unterstützt die Mittags-/Nachmittagsbetreuung vorwiegend die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die rechtlichen Grundlagen sind vielzählig und komplex, sie unterscheiden sich je nach Form der Betreuung. Eine Mittags-/Nachmittagsbetreuung wird grundsätzlich von Gemeinden organisiert und vom Land gefördert.

Verantwortungen für Aufgaben und Finanzierung in der Ganztagsschule sind auf alle Gebietskörperschaften verteilt. Mit Bund-Länder-Vereinbarungen wurde beginnend im Jahr 2011 der Ausbau ganztägiger Schulformen forciert. Die Landesregierung strebt im Arbeitsprogramm 2014 bis 2019 eine Verdoppelung der verschränkten Ganztagsklassen in drei Jahren an.

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