„Beatrice Cenci“: Horror im Kopf

Mit Berthold Goldschmidts Oper „Beatrice Cenci“ haben die Bregenzer Festspiele am Mittwochabend begonnen. Grelle Kostüme und schöne Musik auf der Bühne erzählen eine reale Geschichte um Gewalt, Geld, Macht und Kirche. Und erzählen ist hier wörtlich gemeint.

Alle Bilder von der Premiere und weitere Kritikerstimmen finden Sie hier: vorarlberg.ORF.at

Francesco Cenci verkündet bei einem ausgelassenen Fest fröhlich den Tod seiner beiden Söhne - die er umbringen ließ. Er stolziert auf einem gläsernen Laufsteg gefüllt mit Goldmünzen, angetan mit goldenen Handschuhen und ebensolchem Penisfutteral.

Mit Gold richtet sich’s Francesco - beim Papst kauft er sich damit von mehreren Morden frei. Der deutsche Bariton Christoph Pohl spielt den vordergründig galanten, manipulativen Narzissten mit seiner Freude an Quälereien beängstigend glaubhaft. Francescos Tochter Beatrice sucht erfolglos Hilfe bei den Festgästen - und wird vom Vater dafür vergewaltigt. Regisseur Johannes Erath erspart dem Publikum die explizite Darstellung - ebenso wie bei den weiteren sadistischen Quälereien und bei den Folterungen der Verhafteten nach dem Tyrannenmord. Die Bilder im Kopf sind schlimm genug - dort spielt sich der wahre Horror ab.

Realer Horror

Im Jahr 1599 werden in Rom die 22-jährige Beatrice Cenci sowie ihre Schwiegermutter Lucrezia und ihr Bruder Giacomo hingerichtet. Gemeinsam hatten sie ein Mordkomplott gegen ihren sadistischen Vater und Ehemann geplant und ausgeführt. Aus diesem Stoff machte der jüdisch-deutsche Komponist Berthold Goldschmidt im Jahr 1949 im Londoner Exil eine Oper. Die Bregenzer Festspiele haben „Beatrice Cenci“ gestern als österreichische Erstaufführung und Welturaufführung der deutschsprachigen Fassung auf die Bühne gebracht und bleiben damit der Tradition treu, im Haus selten Gespieltes zu präsentieren.

Premiere von „Beatrice Cenci“

Mit der österreichischen Erstaufführung von Berthold Goldschmidts Oper „Beatrice Cenci“ wurden die 73. Bregenzer Festspiele eröffnet.

Die Arbeit an „Beatrice Cenci“ begann Goldschmidt 1949 – um an einem Opernwettbewerb teilzunehmen. Den gewann er auch, die mit dem Gewinn verbundene Aufführung fand jedoch nie statt. Erst 1988 wurden Teile von „Beatrice Cenci“ konzertant aufgeführt, bei einem Abend, der der Musik geflohener Komponisten gewidmet war. Danach spornte ihn seine Partnerin Margot zur Vollendung der Oper an. Am 10. September 1994 wurde „Beatrice Cenci“ in Magdeburg in englischer Sprache uraufgeführt, was Berthold Goldschmidt noch erlebte. Er selbst erarbeitete auch noch die deutsche Fassung, die jetzt in Bregenz gespielt wird.

„Die strenge, fast militärische, diktatorische Disziplin der Zwölftonschule hat mir imponiert – sie haben sich damit sozusagen selbst in eine Zwangsjacke gesteckt, die ihnen sehr angenehm war. Mir wäre eine Zwangsjacke unangenehm. Was ich schreibe, sind emotionale Äußerungen meiner Persönlichkeit“, erklärte Goldschmidt in einer Dokumentation der ARD aus dem Jahr 1996.

Puffärmel und Strapse

Auf der Bregenzer Bühne sind weiß geschminkte Gesichter zu sehen, orange, wasserstoffblond oder golden gefärbte Haare, Strapse und weiße Unterwäsche. Ausladende Puffärmel, Kniehosen, Halskrausen - sehr opulent und farbenfroh. Dazu muskulöse, junge, nackte Männer im Hintergrund. All das weckt Erinnerungen an Tim Burtons „Alice im Wunderland“ und Richard O’Briens „Rocky Horror Picture Show“. Je nach Lesart karikiert das die bittere Ernsthaftigkeit des Stoffs oder es löst die Geschichte von ihrer Zeit und macht sie universell lesbar: „Es gibt auch heute viele Francesco Cencis“ meint Erath. Er gleicht mit diesen Bildern den Umstand aus, dass die Figuren selbst oft nur auf der Bühne stehen und singen, wie es ihnen geht – das Stück hat wenig aktive Handlung.

Die Laufstege werden zu gläsernen Särgen, darin statt des Goldes die bisherigen Opfer Francescos, leicht bekleidet. Und der ermordete Francesco zeigt aus seinem Sarg auf Gold gebettet allen den Stinkefinger – was zu Lachern im Publikum führt. Der dänischen Bass Per Bach Nissen wurde als heuchlerischer Kardinal Camillo in eine altrosa Robe gesteckt und seine Falschheit, Kriecherei und Unbarmherzigkeit werden beinah körperlich spürbar.

Musik durch die Jahrhunderte

Goldschmidt illustrierte Gewalt, Heuchelei und Leid mit facettenreicher Musik. Für Dirigent Johannes Debus liegt sie zwischen Gustav Mahler und Giacomo Puccini, für Dshamilja Kaiser, die die Lucrezia singt, hat sie ebenso Anklänge an Renaissancemusik wie an Erich Wolfgang Korngold, Richard Strauss oder Claudio Monteverdi. Je größer der Horror, desto schöner die Musik – Goldschmidt wollte die gewalttägigen, traumatischen Ereignisse nicht in der Musik doppeln. Erath hat es, gemeinsam mit Katharina Tasch, verantwortlich für die Kostüme, und Katrin Connan für die Bühne, in Bregenz ebenso gehalten.

Der musikalische Leiter Debus dirigiert die Wiener Symphoniker überaus einfühlsam. Von Musikern hört man denn auch, dass das Orchester den Dirigenten sehr schätze, somit herrscht Harmonie im Orchestergraben und im Spiel. Vor drei Jahren war Debus schon einmal bei den Festspielen, damals geleitete er die Wiener Symphoniker bei Jaques Offenbachs „Hoffmans Erzählungen“.

Das Angebot eines anderen Hauses, „Beatrice Cenci“ zu dirigieren, hat Debus jedoch vor Jahren nicht angenommen. In Bregenz hat er zugesagt. Die Frage nach dem Warum, die ihm ORF-Redakteurin Bettina Barnay bei der „Opernwerkstatt“ stellte, beantwortete er rhetorisch: „Kann man Intendantin Elisabeth Sobotka etwas abschlagen?“ Besonderen Applaus gab es am Mittwochabend für die aus Israel stammende Sopranistin Gal James als verzweifelte, dramatisch leidende Beatrice.

Selbst denken

Die Kirche in Person von Papst Clemens VIII bleibt hart. Anders als der ermordete Mörder können die beiden Frauen sich nicht freikaufen. Der Papst lehnt ein Gnadengesuch ab, um ein Exempel zu statuieren – und schließlich das gesamte Vermögen der Cencis einzukassieren.

Die Institution Kirche als Ansammlung korrupter, machtgieriger, intriganter Individuen. Der reiche Narzisst, der sich alles herausnimmt und herausnehmen kann. Der Papst profitiert von den Bestechungsgeldern Cencis, Cenci von der Geldgier des Papstes. Eraths Inszenierung kritisiert deutlich, ohne plakative Splatter-Szenen und mit überraschend wenig, aber gezielt eingesetzter Videotechnik. Sie kreist die große Frage nach der moralischen Legitimität der Selbstjustiz ein, beantwortet sie aber nicht. Leider oder Gott sei Dank.

Martin Hartmann, ORF Vorarlberg

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