„Trauer ist nicht nur da, wenn Tod da ist“

Familientrauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper spricht in der ORF Radio Vorarlberg Sendung „Focus“ über das Thema "Schwere Krankheit und Tod in Familien.“ Ihre zentrale These: „Trauer ist nicht nur da, wenn Tod da ist“.

Sendungshinweis:

Samstag, 16. Mai 2015, 13.00 bis 14.00 Uhr
Donnerstag, 21.Mai 2015, 21.00 bis 22.00 Uhr (WH)

Eva fragte Schroeter-Rupieper: „Wie viele Leute haben wegen dir auch schon mal geweint, denen du von meiner Geschichte erzählt hast?“ Eva war sechs Jahre alt als ihre Mama gestorben ist. Sie muss nicht mehr weinen, wenn sie davon erzählt, sie muss manchmal weinen, sagt Schroeter-Rupieper. Heute ist Eva 14 Jahre alt.

Mechthild Schroeter-Rupieper hat den Vortrag entlang von Sprüchen aufgebaut. Die Familientrauerbegeleiterin sagt: Trauer ist nicht nur da, wenn Tod da ist, sondern auch wenn Scheidung, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alkoholismus da ist, wenn mein Freund mich nicht zum Geburtstag einlädt.

Die Sendung zum Nachhören:

Scheidung ist auch ein „Trauerfall“

Die Trauerbegleiterin wird in Schulklassen gerufen, wenn eine Mutter gestorben ist. Viele kennen Trauer, weil sich Mama und Papa getrennt haben. In Vorarlberg gab es 2013 691 Scheidungen, in Wien über 4.000. Scheidung löst Trauer aus. Scheidungskinder haben genauso Schuldgefühle, Ängste, Trennungsängste, Sorgen, Bindungsstörungen und Konzentrationsstörungen.

Mechthild Schroeter-Rupieper

Privat

Mechthild Schroeter-Rupieper

Wenn trauernde Kinder nicht gesehen werden, kann es sein, dass sich etwas fehlentwickelt. Es gebe 40 Prozent Scheidungskinder im Ruhrgebiet. Schroeter-Rupieper sagt: „Wenn wir diese häufigen Scheidungen nicht wahrnehmen und die Kinder nicht auffangen, werden wir bindungsgestörte Kindern haben, die entweder zu enge oder keine Beziehung mehr eingehen. Scheidungskinder, die gesehen werden, können starke Kindern werden, genauso wie trauernde Kinder, wo Eltern gestorben sind.“

Kinder und der Tod

„Behalte deine kleine Schwester lieber in Erinnerung, das Bild der toten bekommst du nie mehr weg, einen Toten würde ich mir nicht mehr anschauen. Mach das nicht!“ Das ist oft das, was Eltern sagen: „Darf das Kind den Opa, die Oma, noch sehen.“ Früher gab es sicher gute Rituale, dass Menschen zuhause aufgebahrt wurden.

Sie sei dankbar, dass sie zuhause die Toten sehen durfte, sagt Mechthild Schroeter Rupieper. Sechsjährige Kinder haben Angst vor Einbrechern und vor Toten, dreijährige Kinder haben das nicht, weil sie den Tod und den Begriff Einbrecher nicht kennen. Dreijährige kennen keine Geister, sechsährige vielleicht schon, je nachdem, mit wem sie im Kindergarten spielen. Wenn man etwas erklärt bekommt, behält man es nicht als schrecklich im Kopf.

Kinder möchten den Toten oft das Liebste mitgeben, das sie haben. Wenn sie das Stofftier am Abend zum Einschlafen brauchen, dann dürfen sie das nicht „ab“-geben. Man sollte darauf achten, dass man das, was einem selbst gut tut, nicht hergibt. Wir müssen auch ein Stück für uns selbst Sorge tragen.

Was sehen unsere Kinder?

Bei der Sendung „Im Dschungelcamp“ krabbeln Spinnen Menschen in den Mund; das sehen sich sechs Millionenn Menschen zwischen 14 und 59 Jahren an. Gleichzeitig stirbt die Oma und die Eltern weigern sich, ihr Kind die tote Oma anschauen zu lassen.

Was gibt es Schlimmeres für Kinder als Trauer? Wenn sie bloßgestellt oder geächtet werden. Wenn Kinder nicht traurig sein dürfen, wenn ihre Eltern sterben, kann man sich fragen, in welche Gesellschaft wachsen wir hinein, fragt Schroeter-Rupieper. Buben haben oft Tricks, wie sie ihre Tränen wegbekommen. Wenn ein Bub vorgelebt bekommt, dass ein Bub nicht weint und wenn er dann nicht weint, wird er dafür gelobt; dann klopft man ihm auf die Schulter und sagt, du bist klasse.

Ist Oma eingeschlafen?

Wie soll ein Kind verstehen, dass die Oma tot ist und nie mehr wiederkommt? Wenn wir sterben, sterben wir und sind wir nicht nur weggegangen oder eingeschlafen. Wir sind nicht über den Jordan gegangen und eigentlich auch nicht abgekratzt. Beim Satz eingeschlafen, meint man, es sieht so aus. Kinder können Schlafstörungen entwickeln, weil sie fürchten, sie schlafen auch ein. Wichtig ist eine deutliche Sprache.

„Überfordere dein Kind nicht. Antworte nur auf das, was dein Kind dich fragt“, rät die Familientrauerbegleiterin. Wenn wir unseren Kindern keine Grundinformation über das Sterben geben, können wir auch nicht erwarten, dass sie trauern werden. Es ist die Aufgabe von Eltern, den Kindern Traurigkeit beizubringen. Trauer ist wie Freude ein angeborenes Gefühl. Wenn wir angeborene Gefühle unterdrücken, dann ist es logisch, dass wir auf Dauer krank werden.

Kinder und Beerdigung

Wir dürfen unsere Kinder und unsere Jugendlichen nicht fragen, ob sie zur Beerdigung gehen wollen oder nicht. Das sei unfair, sagt die Trauerbegleiterin. Welcher Jugendliche entscheidet sich freiwillig für das Negative. Wir lehren den Kindern so den Kreislauf des Lebens. Man kann als Familie gemeinsam durch die Traurigkeit gehen. Es ist besser wir üben an Omas und Opas das Abschied nehmen, als an Mamas und Papas.

Zur Person:

Mechthild Schroeter-Rupieper. Nach Jugendarbeit bei der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg als Leiterin, Kuratin und Mitglied auf der Diözesanebene Essen, sowie bei der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands im Alleinerziehendenbereich, arbeitete Mechthild Schroeter-Rupieper als Erzieherin und Kindergartenleiterin in Gelsenkirchen.

1992 begann sie eine Fortbildungstätigkeit für Erzieherinnen im Bistum Essen, 1996 folgten Seminare zum Thema „Umgang mit Scheidung, Tod und Trauer in Familien“, die alsbald bundesweit ausgeführt wurden. Seit 1998 arbeitet sie in eigener Praxis (Lavia Institut für Familientrauerbegleitung) in Gelsenkirchen als Familientrauerbegleiterin mit Kindern, Jugendlichen und Familien im Ruhrgebiet. Schroeter-Rupieper ist seit 1987 mit Meinrad Rupieper verheiratet und Mutter von drei Söhnen.

Literatur :

Mechthild Schroeter-Rupieper, Für immer anders - Das Hausbuch für Familien in Zeiten der Trauer und des Abschieds. Patmos Verlag.

Musik:

LP* ACOUSTIC MOMENTS
T* Acoustic moments
A: Bireli Lagrene

G* Soul of Violin
T* Wandering thoughts
A: Soul of Violin
A: Didier Lockwood/Violine

G* Soul of Violin
T* Gypsy roots
A: Soul of Violin
A: Didier Lockwood/Violine