„Wenn normale Menschen Terroristen werden“

Theologe und Politik-Philosoph Prof. Dr. Jürgen Manemann, Hannover, spricht in Focus über „Gotteskrieger. Wenn gewöhnliche Menschen zu Terroristen werden.“

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Sendehinweis:

Focus, 11.10.2014

Text von Johannes Schmidle

Gegenwärtig sind wir nicht nur mit Gewalt, sondern mit genozidaler Gewalt konfrontiert. Gerade angesichts unermesslicher gegenwärtiger Leiden, denen Yesiden, Christen und Muslime durch den Terror des IS- Islamischen Staates- ausgesetzt sind, dürfen wir die Hoffnung darauf, dass die Welt besser wird, nicht aufgeben. Dieser Terror darf uns nicht dazu verleiten, dass wir resignieren. „Die Hoffnung ist uns nicht um unseretwillen gegeben worden; sondern die Hoffnung ist gegeben worden für diejenigen, damit wir denjenigen Hoffnung machen, die heutzutage hoffnungslos sind. Die anderen sind auf unsere Hoffnung angewiesen.“ (W. Benjamin)

Ist der Islam für diese Gewalt verantwortlich?

Man versucht die Frage der Gewalt zu rationalisieren. Man sucht Gründe. Sind die Gewaltattacken der Beweis, dass mit Allah letztlich jede Gewalt erlaubt werden kann? Da wird immer wieder der Vorwurf laut, dass es sich bei den Terroranschlägen um die Auswüchse eines religiösen Wahns handle, der in allen monotheistischen Religionen verbreitet sei, auch Christen- und Judentum. Dass Religionen für solche Eruptionen von Gewalt verantwortlich gemacht werden können, sei unbestritten, dass man durch derartige monokausale Plausibilisierungen wichtige Kriterien aus dem Auge verliert, sagt Manemann. Man müsse sich der Terror-Rationalisierung stellen, um den Terror zu verstehen und ihm standhalten zu können.

Jürgen Manemann

Foto Manemann: Grünewald Verlag

Jürgen Manemann

Was hatte der vom `IS`(Islamischer Staat) in Algerien enthauptete französische Bergsteiger mit dem Konflikt der Islamisten und der westlichen Welt zu tun? Rein gar nichts! Deswegen wurde er enthauptet, denn die Terroristen wollen damit belegen, dass man ihre mörderischen Handlungen nicht vorhersehen kann.
Gleichzeitig wollen sie uns damit sagen, dass eine solche Tat jeden von uns treffen kann. „Die Terroristen wollen unsere Psyche treffen und sie zielen auf den Zusammenbruch unserer Persönlichkeit ab; je irrationaler ihre Handlungen für uns sind, umso rationaler sind sie von ihnen ausgeführt.“
Das Ziel sei, uns zu verstören, sagt der Hannoveraner Theologe und Politik-Philosoph Professor Jürgen Manemann.

Jihadismus und Faschismus

Dieser Jihadismus hat ein faschistisches Syndrom. Jihadismus zielt wie die Faschisten auf Ungleichheit. Es gelten Dauermobilisierung und das Führerprinzip. Die Gesamtpersönlichkeit wird mit totaler Ideologisierung in die Pflicht genommen. Jede andere Loyalität wird gekappt; zu Familie wie auch zu Religion. Beziehungen zu religiösen Autoritäten werden gekappt, damit sie keinen Einfluss mehr haben. Im Faschismus geht es immer Aggressions-Entladung. Anhänger haben ein libidinöses Verhältnis zur Gewalt. Gewalt wird lieber als jedes andere Mittel eingesetzt. Faschismusanfälligkeit basiert nicht nur auf wirtschaftlichen Krisen.

Die psychische und spirituelle Not

Faschismusanfälligkeit ist bedingt durch echte psychische und spirituelle Not. Die Europäer unter den Anhängern des IS sind die brutalsten. In den Enthauptungsvideos stehen Europäer als Täter. Die Frage muss lauten, warum entwickeln Menschen, die unter uns aufgewachsen sind, einen solchen Hass gegen diese Gesellschaft und gegen uns?
Der IS will Hass säen, sie wollen uns ihre Regeln aufzwingen, dass wir Rechtsstaat und Demokratie einschränken. Wir müssen Wert darauf legen, dass wir immer rechtsstaatlich handeln, weil sie uns ihre Regeln aufzwingen wollen. Nur so kann es gelingen dem IS neue Kämpfer hier bei uns zu entziehen.

Vor allem auch junge Menschen erleben in unserer Gesellschaft einen Nihilismus mit enormer Sinnlosigkeit und Lieblosigkeit: und dem müssen wir uns gerade jetzt stellen.

Jugendliche u. Erwachsene benötigen Empowerment/Selbst-ermächtigung

Letztlich geht es um die Frage: wie können wir gut zusammenleben?
Politik muss auch das Leben für zukünftige Generationen sichern. Man muss sich auch um Minderheiten und jene kümmern, die keine Lobby haben. Nicht nur Politiker haben Aufgaben im Sinne des Gemeinwohls, sondern auch die Bürger. Politik verlangt auch die Andersartigkeit (relig./kulturell/Gender) in der Öffentlichkeit wahrzunehmen.
Die ANDER-HEIT bedeutet, dass wir den anderen Menschen nie nur auf seine religiöse, kulturelle Markierung festschreiben oder `einsperren` dürfen. Jeder von uns ist mehr als nur Jude, Christ oder Atheist.
" Nur wenn das - was ist - sich ändern lässt, ist das - was ist - nicht alles" (T.W.Adorno)

Zur Person:

Prof.Dr. Jürgen Manemann:
ist katholischer Theologe, Politik-Philosoph und Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover. Bis 2009 war er Professor für Christliche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Manemann ist einer der profiliertesten Vertreter der „neuen“ Politischen Theologie.

Literatur:

Prof. Dr. Jürgen Manemann
„Rettende Erinnerung an die Zukunft“.
Grünewald Verlag

Janne Teller. Nichts: Was im Leben wichtig ist Roman.
dtv.

MUSIK:

T* Blues Brandner
CD* MURED 14045
G* NA UND ?!
A: HERBERT PIXNER PROJEKT

CD* ZEIT
T* Pop Song/instr.
S: Klaus Trabitsch/Gitarren und div.Instrumente
NI: Thomas Gansch/Flügelhorn
NI: Otto Lechner/Akkordeon

G* Flüssig - Dialog mit der Lafnitz
T* Kriegstrommeln gleich

S: Hubert Salmhofer/Klarinette,Bassetthorn
S: Thomas Nothbauer/Sopransaxophon,Altsaxophon
S: Heinz Grünauer/Akkordeon
S: Marianne Gansch/Cello
NI: Mark Zimmermann
NI: Gerald Holler/Originalton der Lafnitz