Focus mit Verena Kast

Nach dem Tod eines geliebten Menschen können chaotische Emotionen aufbrechen: Weinen, Wut, Angst, Sehnsucht, Zorn, Liebesgefühle können dabei durcheinandergeraten. Die Psychologin Verena Kast erzählt im Focus am Samstag, 2.11.13, wie man Trauernde begleiten kann.

Die Sendung zum Nachhören:

Sendehinweis: Samstag, 2. November, 13.00 bis 14.00 Uhr, ORF Radio Vorarlberg (Donnerstag, 7. November, 21.00 bis 22.00 Uhr, ORF Radio Vorarlberg WH)

„Wenn Menschen etwas verloren haben, das für sie einen großen Wert dargestellt hat, dann haben wir den Schmerz des Verlusts und reagieren darauf mit Trauer. Das eine ist, wir trauern, das heißt aber nicht nur, dass wir traurig sind und weinen. Wenn wir uns auf diesen Prozess einlassen, können wir diese Trauer verarbeiten, sofern man Trauer verabreiten kann“, sagt die Therapeutin Verena Kast.

Der Mensch ist ein Bindungswesen

Die Trauer muss man aus der Bindung heraus verstehen, weil wir Menschen Bindungsmenschen sind. Bei Tieren fällt auf, dass wenn sie Angst haben, gehen sie zu Älteren hin, das heißt da wir das Bindungssystem aktiviert. Kinder machen das auch: sie gehen dann zu ihren Eltern. Erwachsene suchen bei Bindungsmenschen Schutz.

Trauern heißt auch verwandeln:

Wenn wir mit einem Menschen zusammenleben, einen enge Beziehung haben, dann haben wir zum Beispiel Werke, die man miteinander macht. Das können Kinder oder Ideen sein. Zu diesem Bindungs-Selbst gehören die Pläne, die man für die Zukunft hat. Zum Bindungs-Selbst gehört auch, dass man miteinander spricht, dass man miteinander Erinnerungen austauscht. Wenn man das nach dem Tod des Partners nicht mehr machen kann, findet man vielleicht andere Wege.

Die Zukunft neu formulieren

Der wichtigste Aspekt der Trauererfahrung ist, dass man miteinander keine Zukunft mehr hat. Man muss die Zukunft neu formulieren und die Vergangenheit in sich selbst abrufen.

Die Phasen der Trauer

Der Tod bringt die gnadenlose Abwesenheit. Der Trauerprozess ist ein mühsamer, schmerzhafter, aber sehr lebendiger Prozess.

Zuert gibt es die Phase, in der man es nicht wahrhaben will, wobei es davon abhängt, ob es eine lange Krankheit ist oder eine plötzlicher Tod ist. Es ist die Phase des Abschiednehmens und der Beerdigung, in der man den Verlust nicht wahrhaben will. Es geht um Zuwendung. Es geht um die Frage, kann ich dir irgendetwas abnehmen. Es geht um eine Umarmung.

Wie kann man Trauernde begeleiten?

Trösten ist nicht immer der richtige Ausdruck, weil es den Betroffenen nach dem Trösten nicht besser geht. Sie wollen oft den verstorbenen Menschen zurück, aber den können wir ihnen nicht zurückgeben.

Die Beerdigung und die Schuldgefühle

Die Beerdigung nimmt den Trauerprozess vorweg. Beerdigungen sind Trauerprozesse im Kleinen.

Schuldgefühle sind ein wichtiger Punkt. In Beziehungen bleiben wir uns immer etwas schuldig. Es sind die größten Schuldgefühle, einem Menschen nicht gesagt zu haben, was er einem bedeutet.

Zur Person:

Verena Kast, Prof.Dr.phil.Psychologin und Psychotherapeutin. Professorin an der Universität Zürich, Lehranalytikerin des C.G. Jung Institutes. 1. Vorsitzende der Internationalen Gesellschaft für Tiefenpsychologie. Mitglied der Leitung der Lindauer Psychotherapiewochen.