Prof. Dr. Reimer Gronemeyer zum Thema Demenz
Die Sendung zum Nachhören:
Demente Menschen: Was können wir tun?
Sendungshinweis:
„Focus“, 16.3.2013
Mit der Demenz komme uns etwas auf den Tisch, das keine einfachen Antworten gebe, sagt Prof. Gronemeyer. Man könne natürlich sagen, man stelle Demente mit Medikamenten ruhig, binde sie fest oder bringe sie ins Heim. Das seien jedoch alles keine menschenwürdigen Antworten. Es gebe allerdings auch keine tolle Antwort auf das Phänomen.
Kümmern wir uns genug um Menschen mit Demenz?
Es sei festzustellen, dass heute „Alt-Sein“ „Allein-Sein“ bedeute. Jeder zweite 85-Jährige lebe in Deutschland allein, sagt Gronemeyer. Das mache das Leben der alten Menschen schon sehr einsam im Gegensatz zu jemandem, der in einem sozialen Zusammenhang wohnt. Die Familien zerbröseln, das Alleinsein nimmt drastische Formen an - das bringe uns doch dazu darüber nachzudenken, wie wollen wir eigentlich leben.
„Nicht die Menschen mit Demenz verlassen uns, sondern wir haben eine Gesellschaft gebaut, die uns von den dementen Menschen entfernt“, beschreibt Gronemeyer.
Wem hilft die „Gesundmaschine“ für die Demenz?
Es werde viel Geld für Menschen mit Demenz ausgegeben, aber man habe oft den Eindruck von einer großen Maschine, bei der viel Geld verdient wird.
by Caplio R3 User
Eigentlich könne die Medizin nichts machen, beruft sich Gronemeyer auf Mediziner-Expertenmeinungen. Deshalb gelte bei Demenz: Jemand hat etwas, an dem nichts zu ändern ist. Im pharmakologischen Bereich würden viele Dinge umgesetzt, bei denen man sehr misstrauisch sein könne, so Gronemeyer. Es passiere viel „Ruhigstellung“, weil das Umfeld in Heimen und Familien genervt sei. Je öfter die Diagnose „Demenz“ diagnostiziert werde, umso mehr werde da auch verdient.
Was hält Gronemeyer von „Demenzdörfern“?
Wenn jemand in dieses Dorf zieht, dann wird die soziale Herkunft gecheckt und die Mitbewohner werden nach Gronemeyer in einen lügenhaften Kontext gesetzt. Die Leute erfahren nicht mehr was die Wirklichkeit ist. " Es ist vielleicht genau das Gegenteil von dem was wir brauchen. Die Leute werden in ein Lager verbracht, das - mit einem hohen Personalschlüssel und einem Supermarkt ohne Geld - wunderbar gestaltet ist.
Was die Menschen mit Demenz wirklich brauchen?
Gronemeyer verdeutlicht: Die Menschen mit Demenz brauchen in unseren Gemeinden, Nachbarschaften und Gemeinschaften Lebensmöglichkeiten. Die Ausschließung und Herauskatapultierung aus den sozialen Zusammenhängen sei keine humane Antwort, unterstreicht Reimer Gronemeyer.
Demenz als Geschenk?
Die Demenz sei natürlich kein Geschenk, sondern könne etwas sehr Schreckliches sein. Jedoch müssten wir die Sinne aufsperren, um wahrzunehmen, dass Menschen mit Demenz uns etwas mitzuteilen haben, so Gronemeyer: „Sie sagen uns etwa, wie wir eigentlich leben: dass wir sie abkoppeln, dass wir immer mehr als Single leben, dass wir immer mehr einen konsumistischen Lebensstil haben, der uns für das ‚Du‘ nicht mehr aufgeschlossen sein lässt.“ Die Menschen mit Demenz würden auf den Punkt bringen, was in dieser Gesellschaft eigentlich passiere.
„Wir selbst werden immer erinnerungslosere Wesen, die allenfalls noch die Löschtaste bedienen können. Gleichzeitig leben wir in einer Phase unglaublicher Beschleunigung und Innovation. Gegenüber den sehr alten Menschen bedeutet unser Verhalten: „‚as was Du gelernt hast, brauchen wir nicht mehr - das kannst du auf die Müllkippe bringen‘.“
Diesen Vortrag haben wir anlässlich der Vortrags- und Ausstellungsreihe zum 10-Jahr-Jubiläum der Palliativstation Hohenems im Palais Liechtenstein in Feldkirch aufgezeichnet.
Zur Person
Professor Dr. Reimer Gronemeyer(www.reimergronemeyer.de) ist Theologe, lutherischer Pfarrer in Hamburg; seit 1975 lehrt er Soziologe an der Universität Gießen. Zudem ist Professor Gronemeyer Mitglied mehrerer Fachorganisationen wie dem Deutschen Hospiz-und Palliativverband.
Reimer Gronemeyer ist auch Vorstandsvorsitzender der von der Robert-Bosch-Stiftung geförderten Aktion Demenz e.v.
Publikation
Reimer Gronemeyer. Das 4. Lebensalter. Demenz ist keine Krankheit.
Pattloch Verlag München.
Musik
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CD Musikreise um die Welt II Maultrommel
„Back to Black“ Amy Winehouse