Hopfner: EU-Staaten müssen Egoismus ablegen
Herr Hopfner, Griechenland hat sich wieder erholt. Die Entwicklung in Italien führt manche aber zur These, dass es durchaus möglich ist, dass die Eurozone in nicht allzu ferner Zukunft auseinanderbricht. Ist das übertrieben oder gibt es Anlass zur Sorge?
Hopfner: Europa ist in einer zugegebenermaßen herausfordernden Situation. Griechenland ist eine kleine europäische Wirtschaftsregion, aber Italien ist in Europa die drittgrößte Wirtschaftsnation. Und deswegen muss man die Thematik in Italien schon ordentlich ernst nehmen.
Die neue Regierung in Italien hat sich sehr viel vorgenommen: Alles zusammen könnte bis zu 90 Milliarden Euro kosten. Wie geht es weiter, wenn die Regierung das durchzieht?
Hopfner: Es ist eigentlich unvorstellbar, dass die Regierung dieses Programm durchziehen kann, weil (...) dieses Investitionsprogramm bedeuten würde, dass sich die Nettoverschuldung auf sieben, acht Prozent summieren würde. Und da können wir nur hoffen, dass auch in Italien irgendwann die Politik auch vernünftig ist. Es ist auch interessant in Italien: Die Umfragen bestätigen ja, dass noch eine deutliche Mehrheit pro-Europa, pro-Euro ausgerichtet ist. Wir können alle nur hoffen, dass am Ende des Tages wirtschaftliche Realität zum Tragen kommt.
Raiba
Das Problem scheint mittlerweile zu sein: Man vertraut sich gegenseitig nicht mehr. Die Nordeuropäer sind der Meinung, dass die Südeuropäer ihr Geld „verkloppen“. Die Südeuropäer haben wirklich Riesenprobleme, sie haben Landstriche mit 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit - das sind Regionen, die verelenden. Und wenn man da ständig Budgetdisziplin aus dem Norden Europas gepredigt bekommt, dann kann man es halt irgendwann auch nicht mehr hören. Wie geht das noch zusammen?
Hopfner: Das ist richtig, es ist wirklich eine herausfordernde Situation. Und was dazugesagt werden muss, ist: Die Situation, dass die EZB, insbesondere jetzt unter der Führung von [Mario] Draghi, mit dieser Negativzinspolitik ja eigentlich genau für einen solchen Ausgleich sorgen wollte. Diese Negativzinsphase hätten diese südeuropäischen Länder nützen sollen - Spanien und Portugal haben es auch zum Teil gemacht. Und Italien hat all diese Wirtschaftsreformen, von denen schon lange klar war, dass sie Italien einmal machen muss, einfach ignoriert. Und insofern ist natürlich die Unzufriedenheit der nördlichen Länder nachvollziehbar. Wie Europa jetzt mit dieser Thematik umgeht, wird sicher eine interessante Diskussion in den nächsten Monaten und Jahren werden.
Sie läuft schon, die Diskussion: Frankreich dringt auf einen eigenen Haushalt für die Eurozone, um Länder in Not zu unterstützen. Präsident [Emmanuel] Macron hat ursprünglich mehrere hundert Milliarden Euro für diesen Sondertopf ins Gespräch gebracht, die deutsche Kanzlerin [Angela] Merkel sagt: Mehr als eine niedrige zweistellige Milliardensumme tun wir da nicht rein. Backt Merkel da zu kleine Brötchen?
Hopfner: Das ist jetzt wahrscheinlich eine politische Diskussion. Eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, eine gemeinsame Fiskalpolitik wäre übrigens auch schon von Beginn an eine Notwendigkeit gewesen - aber das scheitert aus meiner Sicht einfach auch an den nach wie vor stark ausgeprägten Egoismen. Diese nationalstaatlichen Egoismen sind einfach so nach dem Motto: Mein Hemd ist mir am nächsten, alles, was für mich gut ist, ist okay, und alles, was eher der Gemeinschaft dient, das überlege ich mir dann gut oder da bin im Zweifel einmal dagegen. Das muss Europa ablegen, auch in dem jetzt gerade beginnenden - man muss leider das Wort Wirtschaftskrieg verwenden. In diesem protektionistischen Thema, das jetzt ausgehend von Trump immer mehr die Weltwirtschaft beeinflusst, da muss Europa zu einer gemeinsamen Sprache kommen. Ich weiß, es ist jetzt unheimlich leicht, hier vor diesem Mikrofon das zu fordern, das tun auch viele. Das Tun ist das schwere. Aber ich verspüre auch manchmal hier den fehlenden Willen der Politik, wirklich Gemeinsames zu Wollen.
Wenn davon die Rede ist, wie Vorarlberg von der EU profitiert, dann wird gerne auf unsere Exportindustrie verwiesen, für die der europäische Binnenmarkt ein Segen sei. Sehen Sie noch andere Vorteile, oder sehen sie auch Nachteile der EU-Mitgliedschaft für eine Region wie Vorarlberg?
Hopfner: Ich denke, Vorarlberg profitiert in einem höchsten Ausmaß von einem gemeinsamen, von einem starken Europa, jedenfalls von einem Binnenmarkt. Was dort an Zollmodalitäten, an Bürokratie reduziert wurde - leider Gottes in anderen Gebieten wieder bürokratisch aufgebaut wurde - ist eine positive Rahmenbedingung, die dazu führt, dass sich Vorarlberg so entwickelt hat, wie es sich entwickelt.
Glauben Sie, dass Österreich sich in die aktuelle Debatte genügend einbringt? In der Migrationsfrage ist man sehr aktiv seitens der Bundesregierung, was die Reformdebatte zur Währungsunion anbelangt, ist man zurückhaltender. Könnte man sich als Republik Österreich nicht proaktiver in diese Debatte einbringen?
Hopfner: Man könnte und müsste sich wahrscheinlich einbringen. Ich wage jetzt die Analyse in diese Richtung, als dass die Kompetenz unserer Regierung sich sehr stark an der anderen Frage misst, an der Migrationsfrage misst, weil dort vor allem Bundeskanzler [Sebastian] Kurz natürlich über viele Jahre Kompetenz bewiesen hat. Und wenn man ich so extrem auf ein Thema fokussiert, ist die Gefahr groß, dass andere, auch bedeutende Themen dann nicht die notwendige Gewichtung kriegen.
Das Gespräch führte ORF-Redakteur Jürgen Peschina