Sonderschulen sollen bleiben: Rückschritt?

Die türkis-blaue Bundesregierung will die Sonderschulen in Österreich erhalten und stärken. Das kommt bei Vorarlberger Vertretern von Menschen mit Behinderung nicht gut an: Sie sehen einen Rückschritt bei der Inklusion.

Inklusion funktioniere bei getrennten Schulen nicht, sagt Georg Matzak von der Lebenshilfe Vorarlberg. Die Kinder und Jugendlichen würden dadurch schon von klein auf ausgegrenzt und hätten es später auch im Berufsalltag nicht einfach. Damit Kinder mit Einschränkungen von Beginn an integriert werden können, brauche es eine Schule für alle, so Matzak.

Natürlich gebe es dabei aber Ängste und Sorgen: Eltern von Kindern ohne Beeinträchtigungen würden immer wissen wollen, ob nicht ihre Sprösslinge darunter leiden, wenn man auf andere Rücksicht nehmen müsse. „Und Eltern von Kindern mit Behinderungen werden sich denken: Kommt mein Kind da nicht zu kurz?“

Zischg: Rahmenbedingungen fehlen

Wenn die Rahmenbedingungen für einen gemeinsamen Unterricht geschaffen werden, komme niemand zu kurz, sagt Reinhard Zischg von der Bewegung „Reiz - selbstbestimmt leben“. Bisher habe man sich aber nur halbherzig darum gekümmert. Die nötigen Ressourcen - wie die Barrierefreiheit - würden fehlen. Hier liege der Ball eindeutig bei den politisch Verantwortlichen.

Kompatscher wittert Nachholbedarf

Auch Christian Kompatscher, der Landesschulinspektor für Sonderpädagogik, will Sonderschulen vermehrt in Regelschulen einbinden. Kompatscher vermutet aber, dass das noch Jahre dauern werde. Denn auch er wittert Nachholbedarf, wenn es um die dafür nötigen Ressourcen geht: „Wir brauchen auf alle Fälle mehr an Kompetenz in diesem Bereich.“

Die Grundschullehrerausbildung sei zwar relativ gut aufgestellt. Aber: „Im Bereich der Sekundarstufe, mit dieser Lehrerausbildung, wie sie derzeit auf Schiene ist, da habe ich große Bedenken, ob wir die ausreichende Anzahl von Personen mit der entsprechenden Qualifikation bekommen werden“, so Kompatscher.

Weitere Zusammenlegungen geplant

Im Volksschulbereich habe sich schon einiges in Richtung Inklusion getan, sagt Kompatscher. So wurden beispielsweise in Bregenz, Lauterach, Langenegg oder auch im Kleinwalsertal Volksschulen und Sonderschulen zusammengelegt. Weitere derartige Projekte seien entweder bereits in Bau oder zumindest in Planung.

Verein Integration ortet Aufbau von Barrieren

Kritisch sieht den Erhalt der Sonderschulen auch Claudia Niedermair, Obfrau des Vereins „Integration Vorarlberg“. Damit würden Barrieren auf- statt abgebaut.

Inklusion, so betont Niedermair, sei eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. „Wo, wenn nicht in der Schule, kann das gemeinsame, demokratische Zusammenleben gelernt werden, das von Kindern als Erwachsene gefordert wird, in einer Gesellschaft, in der Diversität zum bestimmenden Faktum geworden ist?“, stellt Niedermair als Frage in den Raum. Auch Rücksichtnahme, eine respektvolle Begegnung mit dem Anderen und das Umgehen mit Stärken und Schwächen werde vor allem in der Schule gelernt. Insofern wäre es aus Sicht von Niedermair „völlig unverständlich, wenn die Uhren auch entgegen allen internationalen Bemühungen, in Österreich wieder zurückgedreht würden“.

In Vorarlberg besuchen derzeit 890 Kinder und Jugendliche Sonderschulen. Wie die Landesregierung nun mit den Sonderschulen im Land weiter verfahren will, ist noch unklar. Die designierte Bildungslandesrätin Barbara Schöbi-Fink (ÖVP) war für den ORF bisher nicht erreichbar.