Benno Elbs: „Weihnachten geschieht in uns“

In seinen Weihnachtsgedanken in ORF Radio Vorarlberg macht sich Bischof Benno Elbs auf die Suche nach der Bedeutung von Weihnachten. Und kommt zum Schluss, dass es viel mit unseren Sehnsüchten als Menschen zu tun hat.

"Liebe Hörerinnen und Hörer,

Warum feiern wir eigentlich Weihnachten? Nach einer Umfrage eines deutschen Jugendforschungsinstituts kennt jedes dritte Kind den Grund dafür nicht. Manche antworten: Wir feiern Weihnachten, weil Ferien sind oder weil die Oma kommt oder damit die Geschäfte mehr verkaufen. Andere meinen, wir feiern Weihnachten, weil es da vielleicht Schnee gibt und wir Schifahren können.

Wer aber die Augen ein wenig offen hält, der spürt, Weihnachten ist weit mehr als das äußerlich Wahrnehmbare. Es ist mehr als stimmungsvolle Weihnachtsmärkte, beleuchtete Einkaufsstraßen und Geschenke. All das sind schöne Dinge. Weihnachten führt uns aber noch an andere Orte des Lebens.

Benno Elbs

APA/Stiplovsek

Ich glaube, Weihnachten ist ein Schlüssel zu mir selbst.

‚Alles beginnt mit der Sehnsucht, immer ist im Herzen Raum für mehr, für Schöneres, für Größeres. Fing nicht auch Deine Menschwerdung, Gott, mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an?‘ So schreibt die jüdische Dichterin Nelly Sachs. Weihnachten ist eine Zeit, in der wir mehr Achtsamkeit für unsere Sehnsucht empfinden. Das Leben fordert viel von uns, jeden Tag. Es ist oft belastet von Sorgen – im Beruf, in den täglichen Aufgaben, die uns fordern. Oder es sind Ängste, die uns bedrücken. Irgendwie spüren wir, diese winterliche Zeit führt uns an den Ort unserer Sehnsucht:

  • In meiner Sehnsucht entdecke ich alltäglich, was ich zutiefst brauche im Leben.
  • In meiner Sehnsucht begegne ich meiner Lebendigkeit, meinem Eingebunden-Sein in die Gemeinschaft.
  • In meiner Sehnsucht erlebe ich mein Begrenzt-Sein und meine Widersprüchlichkeit.
  • In meiner Sehnsucht spüre ich, wie nahe beieinander Lebensfreude und Lebensschmerz sind.
  • In meiner Sehnsucht erwacht der Traum einer Welt, die gerechter, freundlicher und zärtlicher wird.
  • In meiner Sehnsucht ertaste ich Gottes Spur in den Ereignissen und Erfahrungen meines Lebens.
  • In meiner Sehnsucht schlummert die Kreativität, der Wunsch, etwas Neues zu beginnen.

Wir spüren es, die Sehnsucht führt uns an einen wichtigen Ort unserer Seele und unseres Herzens. Und das ist der erste Sinn von Weihnachten: Es ist ein Fest, das unsere Sehnsucht, unsere Seele, unser Herz berührt.

Ein Zweites ist die Frage:
Wo ereignet sich Weihnachten? Was geschieht an diesem Heiligen Abend?
Eine Antwort darauf gibt ein bekanntes Zitat des schlesischen Dichters und Mystikers Angelus Silesius: ‚Wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, und nicht in dir: Du bliebest doch ewiglich verloren.‘ Die Krippe, auf die es ankommt, steht nicht in Bethlehem, es ist die Krippe unseres Herzens.

Gott will auch heute seine Liebe lebendig werden lassen in uns Menschen. So ist Weihnachten letztendlich an kein Datum und an keinen Ort gebunden. Weihnachten wird heute Abend an Millionen Orten geschehen. Jedes Dorf dieser Welt, jede Familie, jede Stadt kann Bethlehem heißen. Und jedes Herz kann eine Krippe werden, in die hinein die Liebe geboren wird. Wenn wir dieser Zärtlichkeit Gottes in unserem Herzen Raum geben, dann muss kein Mensch mehr in Kälte geboren werden, dann muss kein Mensch mehr in Kälte und Ausgrenzung leben, dann muss kein Mensch mehr einsam und allein in der Kälte sterben.

Das ist die Einladung an uns heute Abend, dass Weihnachten tief in unserem Herzen geschieht. Es ist jene Zärtlichkeit, die die Mutter Gottes dem neugeborenen Kind im Stall von Bethlehem geschenkt hat. Sie hat aus ein paar ärmlichen Windeln, etwas Stroh, vor allem aber mit großer Liebe einen Raum der Zärtlichkeit, einen Raum des Willkommens für ihr kleines Kind geschaffen. Weihnachten geschieht in uns. Wir sind Bethlehem. Und wenn wir es nicht sind, wird dieses Weihnachten nicht stattfinden.

Und ein dritter Gedanke:
Weihnachten lässt die Dunkelheit der Welt und unseres Lebens leuchten.
Das vergangene Jahr war für viele von uns nicht einfach. Es gab große Sorgen in Familien unseres Landes, schwere Schicksalsschläge, die uns bewegen, tragische Unfälle, der Amoklauf in Nenzing, schockierende Terroranschläge, gerade dieser Tage wieder in Berlin. Es war ein Jahr harter politischer Diskussionen, die eine bedenkliche Polarisierung unserer Gesellschaft sichtbar gemacht haben, wo Menschen beleidigt und verletzt wurden. Es gibt eine so bisher kaum gekannte Erfahrung von Armut in unserem Land. Wir erleben viele Menschen auf der Flucht, die ein Land der Hoffnung und der Zukunft suchen für ihr Leben. Und in diese Dunkelheit hinein leuchtet das Weihnachtsfest.

Auch die Heilige Familie hat ihr Kind am Rande der Stadt geboren, in Armut. Sie war mit ihrem Kind auf der Flucht, um sein Leben zu retten. Die Dunkelheit des Lebens leuchtet, wenn uns ein Mensch Liebe schenkt, wenn uns ein Mensch einen aufrichtenden Blick schenkt, wenn uns ein Mensch die Hand zur Versöhnung reicht, wenn uns ein Mensch zeigt, was es heißt, solidarisch, freundschaftlich miteinander umzugehen.

Auch das konnten wir im vergangenen Jahr eindrucksvoll erleben. Weihnachten heißt, dass Gott Mensch wird und dass diese Zärtlichkeit und Liebe Gottes in dieser Welt Raum bekommt. Eine Umarmung, die einer trauernden Mutter geschenkt ist, ein stärkendes Wort, das einen Mitmenschen aufrichtet, ein Besuch, der die Einsamkeit eines anderen durchbricht und mit Freundschaft füllt – all das sind Orte, wo Gott Mensch wird, wo Weihnachten geschieht.

So wünsche ich uns allen, dass dieses Weihnachtsfest zu einem Fest wird, das uns mit unserer Sehnsucht in Berührung bringt, das unser Herz zu einer Krippe macht, aus der Freundschaft, Frieden, Zärtlichkeit und Liebe in die Welt in unsere Familien und an die Orte strahlen, an denen wir leben. Ich wünsche uns allen einen Heiligen Abend, der unser Herz, unser Leben mit Freude und Frieden füllt. Gesegnete Weihnachten."