Dschihadismus: Verdächtige unter Beobachtung

Rund 280 Personen sind bereits von Österreich nach Syrien in den Krieg gezogen, sagt der Islamexperte Thomas Schmidinger im Samstaginterview. In Vorarlberg seien etwa zwei Dutzend Personen und eine Moschee unter Beobachtung.

Auch in Österreich ist Radikalisierung ein großes Thema. Wie viele Jugendliche tatsächlich radikalisiert sind, lässt sich jedoch nur schwer abschätzen, sagt der Politikwissenschaftler und Islamexperte Thomas Schmidinger im Samstaginterview. Etwa 1.000 Personen in Österreich sympathisieren mit dem Islamischen Staat, kurz IS, so Schmidinger, zeigen also Interesse am Dschihadismus. Etwa 280 sind zudem tatsächlich bereit, für den IS in den Krieg zu ziehen. Das haben Erhebungen des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ergeben. Das sei jedoch kein neues Phänomen, viele davon hätten schon vorab mit anderen derartigen Bewegungen sympathisiert. Laut dem Islamexperten könne die Anhängigkeit zudem auch mit der großen tschetschenischen Diaspora in Österreich erklärt werden.

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Politikwissenschaftler und Islamexperte Thomas Schmidinger im Interview mit ORF-Redakteurin Christiane Schwald.

Sympathisierung aufgrund der Situation in Österreich

Für Österreich gefährlich sei aber vor allem jene radikalisierte Gruppe im Land, die Gefallen am Dschihadismus findet, weil ihnen die Situation und Gesellschaft in Österreich nicht zu spricht. Schmidinger spricht in diesem Zusammenhang mögliche Anschläge auf Österreich an, die daraus resultieren könnten. Meist gehören Jugendliche oder junge Erwachsene zu dieser Gruppe, die in Österreich aufgewachsen, oft auch geboren sind. Diese kommen oft auch aus Familien ohne Migrationshintergrund und sympathisieren mit dem IS aufgrund ihrer Erfahrungen in Österreich.

Thomas Schmidinger

ORF

Islamexperte Thomas Schmidinger

Suche nach dem Sinn des Lebens

In Vorarlberg gibt es laut dem Islamexperten eine kleine Moschee in Feldkirch, die in eine radikalisierende Richtung tendiert. Zudem gebe es eine Jugendszene im Unterland, die sich in diese Richtung entwickelt. Dabei handle es sich um ein paar Duzend Personen, so Schmidinger. Eine derartige Radikalisierung sei ein langer Prozess. Die Biografien der Personen seien oft sehr unterschiedlich, die Gründe genauso. Meist finden die Personen beim IS etwas, dass sie bei uns nicht finden, beispielsweise ein Zugehörigkeitsgefühl oder den Sinn im Leben. Oft seien es die selben Gründe, die Menschen in Sekten treiben, erklärt Schmidinger. Wenn man jedoch einmal drinnen ist, sei es sehr schwer wieder heraus zukommen.

Radikalisierung nicht an Äußerlichkeiten festmachen

Wenn man bei Jugendlichen das Gefühl hat, dass sie sich in eine radikalisierende Richtung entwickeln, muss vorsichtig und einfühlsam vorgegangen werden. Eine Radikalisierung dürfe zudem nicht vorschnell an Äußerlichkeiten festgemacht werden, so Schmidinger. Ein Bart oder ein Kopftuch bedeutet noch lange nicht, dass es sich dabei um einen radikalisierten Jugendlichen handelt.

Emotionale Zuwendung, viel Zeit und Einbindung

Aber falls eine Vorahnung besteht, sollten mit dem Jugendlichen Gespräche geführt werden, um die Ideologie des jungen Menschen herauszufinden. In weiterer Folge sei es wichtig, immer wieder derartige Gespräche zu führen. Dem Jugendlichen klar zu machen, dass er sich auch in der österreichischen Gesellschaft kritisch einbringen könne. Man dürfe ihn nicht zu schnell in ein Eck stellen und vorverurteilen, weil dann habe man verloren. Emotionale Zuwendung, viel Zeit und die Einbindung in die Gesellschaft seien hier enorm wichtig, wenn nicht entscheidend, so Schmidinger. Oft hilft es auch den Jugendlichen über die Bedingungen in Syrien zu erzählen. Denn viele wissen gar nicht wie es dort wirklich zugeht.

Gerichtsprozesse wirken wenig abschreckend

In Österreich finden derzeit immer wieder Prozesse gegen Dschiadisten statt, die zurückgekehrt sind. Diese an sich wirken auf die österreichischen Anhänger kaum abschreckend, sagt Schmidinger. Viel mehr gehe die Zahl an Radikalisierungen zurück, weil der IS nicht mehr erfolgreich sei.

Schmidinger: Lokaler Ansprechpartner enorm wichtig

Schmidinger unterstützt die neue Stelle beim Institut für Sozialdienste, die sich ab Herbst mit radikalisierten Jugendlichen beschäftigen soll. Ein lokaler Ansprechpartner sei enorm wichtig und sollte es in jedem Bundesland geben. Der Islamexperte macht jedoch gleichzeitig darauf aufmerksam, dass eine derartige Stelle nicht ausreichen werde. Es brauche mehrere, mit unterschiedlichen Kompetenzen.