Vorarlberg will Gemeinsame Schule umsetzen

Das Forschungsprojekt des Landes Vorarlberg zu Bildungsfragen brachte ein klares Ergebnis: Das zweigliedrige Schulsystem sei realitätsfremd, so die Einschätzung der Experten. Sie raten zur Gemeinsamen Schule. Das Land will den Rat befolgen.

Eine der brisantesten Erkenntnisse, die am Freitag präsentiert wurde: Die Entscheidung für die weitere Ausbildung wird im Land zu früh getroffen. Außerdem wird sie oft falsch getroffen. Das zweigliedrige Schulsystem, also das Nebeneinander von Neuer Mittelschule und Gymnasium, „passt nicht mehr zur Schulrealität“, heißt es in dem rund drei Zentimeter dicken Bericht der Experten wörtlich. 19.700 Lehrer, Eltern und Schüler waren für die Studie befragt worden.

Projektleiterin Gabriele Böheim-Galehr formulierte die Empfehlung der Arbeitsgruppenleiter des Projekts daher folgendermaßen: „Mittelfristig landesweit die Einrichtung der Gemeinsamen Schule der Zehn- bis 14-Jährigen mit innerer Differenzierung im Bundesland Vorarlberg.“

Land will Vorschläge ernst nehmen

Ein weiteres Argument für die Beendigung des derzeitigen Systems: Die Wahl zwischen Gymnasium und Mittelschule ist oft keine Wahl. In den Talschaften fehlen oft Gymnasien - oder aber die Volksschüler werden aufgrund eines fragwürdigen Notensystems falsch eingestuft. Das zeigte etwa ein Mathematiktest in der fünften Schulstufe. Zahlreiche Schüler der Mittelschule hätten das Zeug fürs Gymnasium, sagte Johann Engleitner von der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg: „60 Prozent dieser Kinder haben Ergebnisse, wie sie auch im Gymnasium vorkommen.“

ÖVP-Landesrätin Bernadette Mennel sagte, sie wolle die Empfehlungen der Experten ernst nehmen. Die Umsetzung brauche Zeit, ein bewährtes Schulsystem könne nicht von heute auf morgen umgestellt werden. Man habe aber bereits mit Vorbereitungen begonnen, eine Geschäftsstelle sei eingerichtet worden, für die Lehrer werde ein Konzept zur individuellen Betreuung ausgearbeitet.

„Paukenschlag“ und „Unsinn“

Von den anderen Parteien gab es durchwegs Lob für das Forschungsprojekt. Einen „Paukenschlag“ in der österreichischen Bildungspolitik und einen „Startschuss“ für eine große Bildungsreform erkannte Grünen-Bildungssprecher Daniel Zadra in den Ergebnissen der Studie. Gleichzeitig verwies er auf die Herausforderungen, die jetzt auf alle Beteiligten zukämen. SPÖ-Bildungssprecherin Gabi Sprickler-Falschlunger analysierte das Forschungsprojekt nüchtern. Die SPÖ wisse schon lange, dass das Bildungssystem in Österreich „ungerecht“ sei. Kinder im Alter von neun und zehn Jahren zu trennen, sei ein „Unsinn“, und das sei jetzt wissenschaftlich erwiesen.

Für den Bildungssprecher der FPÖ, Christoph Waibel, belegt die Studie, „dass die Bevölkerung schon viel, viel weiter ist, wie wir vielleicht gedacht haben“. Jetzt liege ein „Quasi-schon-Beschluss“ vor. Er erinnerte aber auch an die Arbeit, die in den nächsten acht bis zehn Jahren geleistet werden müsse. Martina Pointner von NEOS sieht in der Gemeinsamen Schule eine „Chance“: "Grundsätzlich denke ich, dass die Studie sehr gut angelegt ist, und dass die Gemeinsame Schule durchaus eine Chance sein kann.“ Denn: Ein Selbstläufer sei die Einführung der neuen Schulform nicht.

Insgesamt 19.700 Personen befragt

Das Forschungsprojekt „Gemeinsame Schule“ wurde vor zwei Jahren vom Land Vorarlberg in Auftrag gegeben, zahlreiche Bildungsexperten waren beteiligt. Rund 19.700 Lehrer, Eltern und Schüler haben an der Befragung teilgenommen. 1,8 Millionen Einzeldaten zum Ist-Zustand der Schule und zu Wünschen, wie es weitergehen soll, wurden gesammelt und aufbereitet. Damit liegen nun Daten in großem Ausmaß vor. Mennel nannte das Forschungsprojekt zuletzt „in Breite und Tiefe einzigartig“.

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