Ärztin missbraucht Kinder zu Versuchen

Nach dem Bekanntwerden von zweifelhaften Therapiemethoden an der Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation bis in die 1970er Jahre, hat eine Kommission am Montag einen vernichtenden Bericht vorgelegt. Unter 3.600 Krankenakten finden sich auch Akten zu Vorarlberger Kindern.

Bis in die späten 1970er Jahre wurden an Patienten Versuche durchgeführt, auch von 1970 bis 1987, als Maria Nowak-Vogl die Kinderpsychiatrie leitete. Ihre Behandlungsmethoden seien aus heutiger Sicht völlig unangemessen, erklärte Medizin-Rektorin Helga Fritsch bei einer Presskonferenz.

Seit Ende Februar 2012 hat sich eine interdisziplinäre ExpertInnenkommission mit dem an der Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation geschehenen Unrecht auseinandergesetzt.

Der Vorsitzende der Kommission, Günther Sperk, berichtete, dass in den 33 Jahren 3.650 Krankengeschichten von Kindern aus Tirol, Vorarlberg, Südtirol, Salzburg, Bayern oder anderen Regionen wie etwa der Schweiz dokumentiert seien.

88 frühere Patienten der Beobachtungsstation hätten sich bisher bei der nach Bekanntwerden von Misshandlungen in Tiroler Kinderheimen eingerichteten Opferschutzstelle des Landes gemeldet, 66 Betroffene bei der seit Februar 2012 existierenden Telefonhotline der Medizinischen Universität Innsbruck. Nowak-Vogl sei Teil eines „landesweiten Systems“ gewesen, das schutzlosen Kindern Gewalt angetan habe, meinte Sperk.

Maria Nowak-Vogel

ORF

Die Fürsorgeärztin, Psychiaterin und Heilpädagogin Maria Nowak-Vogl leitete die Einrichtung von ihrer Gründung 1954 bis zu ihrer Pensionierung 1987.

Merkmale „terroristischer Gewalt“

Die Experten fällten insgeamt ein vernichtendes Urteil über die Arbeit der im Jahr 1998 verstorbenen Psychiaterin Maria Nowak-Vogl, die von 1954 bis 1987 die Station leitete. Man habe „Merkmale terroristischer Gewalt“ festgestellt, meinte der Zeithistoriker Horst Schreiber bei einer Pressekonferenz in Innsbruck. Die Erzählungen von Betroffenen hätten offengelegt, dass an der Kinderbeobachtungsstation „sexualisierte, psychische, physische und strukturelle Gewalt“ ausgeübt worden sei.

Es habe ein „Klima der Bedrohung“ geherrscht, in dem die Kinder unter anderem beschimpft, verhöhnt, gedemütigt, erniedrigt, kalt abgeduscht und geschlagen worden seien. Kinder, die zuvor Gewalt erlebt hatten, seien auf der Kinderbeobachtungsstation als „sexuell gestörte Wesen“ abgestempelt und „mitschuldig gesprochen“ worden, meinte Schreiber. Anschließend seien sie über Gutachten Nowak-Vogls Kinderheimen zugeteilt worden.

„Schmerzhafte Injektionen“

Die Bedürfnisse der Kinder spielten laut Schreiber in der Beobachtungsstelle kein Rolle. Er berichtete von „schmerzhaften Injektionen“ und Verabreichungen zur Disziplinierung. Die Kommissionsmitglieder bestätigten zudem, dass das Tiermedikament Epiphysan verabreicht worden sei.

Nowak-Vogl verwendete dieses Präparat zur Behandlung von sogenannter Hypersexualität. Ihr sei es darum gegangen, insbesondere das sexuelle Verhalten der Kinder zu kontrollieren. Der Kinder- und Jugendpsychiater Ernst Berger sprach von einem „völlig sinnlosen Einsatz“ von Epiphysan. Besonders verwerflich sei, dass Nowak-Vogl die Verabreichung als Studie mit ihr anvertrauten, schutzlosen Kindern durchgeführt habe. Nebenwirkungen habe das Mittel keine ausgelöst, hieß es.

Schlüsselstelle in der Fürsorge

Die Leiterin der Kinderbeobachtungsstelle habe über Jahrzehnte eine „Macht-und Schlüsselstellung“ innerhalb der regionalen Fürsorgeerziehung und Kinderpsychiatrie innegehabt. Sie sei „exklusive Gutachterin und Behandlerin“ der als schwierig geltenden Heim- und Pflegekindern, vorwiegend aus unteren Schichten, gewesen, erklärten die Verantwortlichen. Nowak-Vogl habe eine „umfassende Deutungsmacht“ besessen. Die Politik habe keine „irgendwie geartete Kontrolle“ ausgeübt, kritisierte Historiker Schreiber.

Forschung wird fortgesetzt

Die Kommissionsverantwortlichen kündigten unterdessen eine Fortsetzung der Forschungsarbeiten an. Man stehe in Kontakt mit öffentlichen Fördergebern, das Land Tirol, die Med-Uni sowie die Universität Innsbruck würden sich daran beteiligen.

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