Parteien uneinig über Nachbarschaftsarbeit

Unter den Landtagsparteien herrscht Uneinigkeit darüber, ob es für die Siedlungs- und Nachbarschaftsarbeit mehr Geld braucht. Sie diskutierten am Freitag über die Ergebnisse einer Enquete zum Thema "Wie kann Nachbarschaft gelingen?“

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Im Video zu sehen: Jan Hämmerle (Mitglied des Bürgerrates, Lustenau), Annegret Ischepp (Mitglied des Bürgerrates, Krumbach), Karlheinz Rüdisser (Wohnbaulandesrat, ÖVP)

Am Freitagnachmittag fand im Foyer des Vorarlberger Landtags eine Landtagsenquete zu dem von der Sozialdemokratischen Landtagsfraktion vorgeschlagenen Thema „Quartiersmanagement – auf gute Nachbarschaft“ statt. Mit der Thematik befasste sich im Vorfeld der Enquete der vierte landesweite Bürgerrat. Dabei beschäftigten sich elf zufällig ausgewählte Bürger mit der Frage, wie gute Nachbarschaft gelingen kann, welche Voraussetzungen es dafür braucht und welchen Beitrag jeder Einzelne beisteuern kann. Die vielfältigen Ergebnisse und Anregungen wurden im Rahmen der Enquete präsentiert.

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Audio: Nachlese zur Landtagsenquete von ORF-Politik-Redakteur Erik Sandner.

Uneinigkeit der Parteien über die Geldfrage

Nachbarschaft kann vor allem dann gut funktionieren, wenn sich die Bürger aktiv einbringen. Das ist eine der zentralen Botschaften, die die elf Bürgerräte in die Landtagsenquete eingebracht haben. Damit Bürger aber auch tatsächlich gestalten können, reicht persönliches Engagement oft nicht - es wird auch Geld brauchen. Die Parteien sind dabei durchaus unterschiedlicher Ansicht, wie sich gestern bei einer Diskussion im Rahmen unserer Sondersendung zum Bürgerrat gezeigt hat.

Für Gabrielle Sprickler-Falschlunger von der SPÖ ist klar, dass kleinere Siedlungen weniger Geld brauchen werden. In größeren Siedlungen werde es, zum Beispiel, kontinuierliche Sozialarbeit brauchen. Bernd Bösch von den Grünen sieht auch finanziellen Bedarf, aber das müsse nicht heißen, dass man sofort teure Infrastruktur zur Verfügung stellen müsse. Es müsse aber die Möglichkeit geschaffen werden, dass aktive Menschen, die sich einsetzen wollen, auch professionell begleitet werden, fordert Bösch. Dieter Egger von der FPÖ ist zuversichtlich, dass man mit durchaus überschaubaren Mitteln im Zusammenspiel mit dem Land, den Bauträgern und den Gemeinden es einen vernünftigen Anschupf von Seiten der öffentlichen Hand geben könne.

ÖVP-Wohnbausprecher Albert Hofer aber ist kritisch: Er glaube nicht, dass sich nachbarschaftliche Beteiligung kaufen lasse. Die Ideen des Bürgerrates sollen jedenfalls in das derzeit laufende Konzept für die Siedlungsarbeit einfließen.

Sondersendung zur Landtagsenquete zum Nachhören

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Audio: Radio-Vorarlberg-Sondersendung zur Landtagsenquete mit Erik Sandner und Christiane Schwald - umfassende Nachberichterstattung sowie Diskussion mit Albert Hofer (ÖVP-Wohnbausprecher), Dieter Egger (FPÖ-Klubobmann), Bernd Bösch (Grünen-Wohnbausprecher), Gabriele Sprickler-Falschlunger (SPÖ)

Kommunikation und Austausch essenziell

Klar war für die Teilnehmer des Bürgerrats, dass ein gutes Miteinander unter Nachbarn durch den gemeinsamen Austausch und die Kommunikation über Bedürfnisse und Interessen entstehe. Erst wenn klar sei, was allen Beteiligten wichtig sei, entstehe ein Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft, das eigene Lebensumfeld im Sinne einer guten Nachbarschaft.

Begriff „Nachbarschaftsdemokratie“ kreiert

Dieser Zusammenhang führte im Bürgerrat dazu, den Ansatz der „Nachbarschaftsdemokratie“ zu entwickeln - damit ist die Intention gemeint, die eigene Nachbarschaft selbst aktiv zu gestalten. Damit dies gelingen könne, brauche es Begegnungsmöglichkeiten und Entscheidungsstrukturen, die die Nachbarschaft handlungsfähig machen. Einig waren sich die elf Bürgerräte darüber, dass eine Schlichtungsstelle sinnvoll wäre, die bei Nachbarschaftskonflikten als neutraler Partner weiterhilft. Auch Nachbarschaftsgremien (z.B. Eigentümerversammlungen) werden als gute Möglichkeit gesehen, um verschiedene Themen ruhig und sachlich zu diskutieren.

Unter dem neu entwickelten Begriff „Nachbarschaftsdemokratie“ sei zu verstehen, dass es auf jeden Einzelnen ankomme, erklärt Bürgerrat Kaspar Oberhauser aus Höchst. Es gehe darum, Verantwortung zu übernehmen und nicht alles abzuschieben. Zudem gelte es, sich dagegen zu wehren, dass nicht zuletzt auch die Politik versuche, viele Dinge im Sinne einer schnellen Lösung zu regulieren. Demokratische Prozesse würden jedoch Zeit brauchen, so Oberhauser.

Nußbaumer: Appell an Architekten und Planer

Landtagspräsidentin Gabriele Nußbaumer (ÖVP) sprach bei der Enquete die Nachbarschaftsbeziehungen an, die großen Stellenwert häten: „Sozialkapital wird auch wesentlich durch Nachbarschaftsbeziehungen geschaffen. Darauf ist zu achten, wenn der Zusammenhalt schwindet und Eigeninteressen in den Vordergrund rücken.“ Speziell an Architekten, Planer, Wohnbauträger und auch politisch Verantwortliche gerichtet meinte Nußbaumer: „Es werden nicht nur Wohnungen geplant, errichtet und verwaltet, sondern immer auch Nachbarschaften mitgestaltet. Und die Herausforderung besteht darin, die Bewohner nicht nur als anonyme Größe, sondern als aktive Mitgestalter des Zusammenlebens zu sehen.“

Fachvortrag: Schreier für mehr Integration

Maren Schreier, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Soziale Arbeit und Sozialpolitik der Universität Duisburg-Essen und an der Fachhochschule St. Gallen (Institut für Soziale Arbeit), sprach sich in ihrem Fachreferat für mehr Integration aus. Mit der sozialen Trennung im Wohnbau komme es zu ungleichen Lebenschancen. Die Stadtplanung könne hier insofern eingreifen, in dem etwa Wohnanlagen errichtet würden, die sowohl Eigentumswohnbau als auch sozialen Wohnbau vereinen.

Schreier betonte auch, dass es wichtig sei, sich von Planung nicht zu viel zu erwarten. Denn Wohnformen der Zukunft ließen sich nur sehr schwer planen. Was heute Trend sei, könne morgen schon „extrem unattraktiv und unpassend“ sein. Das hätten die Erfahrungen bundes- und europaweit gezeigt.

Assmann: Sozialwohnungen auf Städte konzentriert

Projektleiter Martin Assmann („Vision Rheintal“) erläuterte das aktuelle Projekt von „Vision Rheintal“, das den gemeinnützigen Wohnbau betrifft. Jüngst erhobene Daten würden zeigen, dass sich das Angebot an Sozialwohnungen im Rheintal sehr auf die Städte und größeren Gemeinden konzentriert. Ziel sei es nun, die Bauleistung zu erhöhen und damit auch mehr in die Fläche zu gehen.

Anregungen im „World Cafe“ gesammelt

Das Setting im vollbesetzten Foyer des Landtags entsprach den Spielregeln eines Bürgerrates - das heißt: Die Teilnehmer der Enquete saßen an Tischen, um auf Augenhöhe die Ergebnisse der Fachvorträge und die Vorschläge der Mitglieder des Bürgerrates zu diskutieren. Teilnehmer dieses sogenannten „World-Cafes“ waren unter anderen Landtagspräsidentin Gabriele Nußbaumer (ÖVP),
Landtagsvizepräsident Peter Ritter, Christian Hörl, Brigitte Flinspach, die Abgeordneten Kurt Fischer (ÖVP), Silvia Benzer (FPÖ), Werner Huber (ÖVP), Matthias Kucera (ÖVP), Albert Hofer (ÖVP), Gert Wiesenegger (ÖVP), Kornelia Spiß (FPÖ), Daniel Allgäuer (FPÖ), Gabriele Sprickler-Falschlunger (SPÖ) sowie FPÖ-Klubobmann Dieter Egger und Grünen-Klubobmann Johannes Rauch.

Die Ergebnisse der Beratungen wurden dann wiederum ins Plenum eingebracht. Demnach war keine Pro- und Kontra-Diskussion gegeben, sondern ein Miteinander. Das lasse - so Bürgerrats-Experten - auf konstruktivere Lösungen hoffen als die übliche Form der Podiums-Diskussion.

Bürgerrat formuliert Empfehlungen

Bereits im vergangenen Jahr war das Büro für Zukunftsfragen erstmalig eingeladen, im Vorfeld der Landtagsenquete einen vorarlbergweiten Bürgerrat zu organisieren, dessen Ergebnisse bei der Enquete durch die Teilnehmer selbst präsentiert wurden. Aufgrund der positiven Erfahrungen, neben den Fachreferenten auch „Alltagsexperten“ zu Wort kommen zu lassen, beschloss die Landtagskanzlei, auch die diesjährige Landtagsenquete durch einen Bürgerrat zu ergänzen, um den direkten Austausch zwischen Bürgern und der Politik zu fördern.

Rüdisser: Ideen werden in Maßnahmen einfließen

Der Bürgerrat trifft keine Entscheidungen - durch die öffentliche Präsentation der Überlegungen und Empfehlungen soll jedoch ein Bewusstsein für die Herausforderungen und notwendigen Entwicklungen von Seiten der Politik entstehen. Der Bürgerrat hat konsultativen Charakter - das heißt, er soll Anliegen und Empfehlungen formulieren, er ist somit als Instrument der Politikberatung zu verstehen.

Wohnbaulandesrat Karlheinz Rüdissser sagte nach der Enquete, das zusammen mit dem IfS erarbeitete Konzept für die Siedlungsarbeit liege im Rohbericht vor, die Erkenntnisse der Enquete würden in den Endbericht eingebaut. Die grundsätzliche Marschrichtung für den Sozialen Wohnbau im Land steht für Rüdisser aber fest - mehr Verdichtung, denn Verdichtung heiße Sorgfalt. Wenn man die Entwicklung der vergangenen Jahre ansehe, dann bestehe ein Trend zu kleineren Wohnanlagen. Vor Jahrzehnten habe man relativ große Wohnanlagen gebaut. Dann habe man aber feststellen müssen, dass das mit nicht unerheblichen Problemen verbunden sein könne.

Wenn man ein funktionierendes Zusammenleben gewährleisten wolle, dann sollte man auf eine optimale Größenordnung achten, so Rüdisser. Zudem sollte man auf eine gute Durchmischung der Bewohner achten. Das seien die Voraussetzungen, damit das Zusammenleben auch funktionieren könne. Allerdings könne man nicht alles über einen Kamm scheren. Es gebe einen Unterschied, ob die Wohnanlage im Zentrum von Dornbirn oder ob sie in einer eher ländlichen Region sind. Da müsse man auf die spezifischen Rahmenbedingungen Rücksicht nehmen.

Nächster Bürgerrat im November

Der nächste Bürgerrat findet Ende November im Montafon statt. Das Thema dabei wird lauten: „Wie wachsen wir als Region zusammen“.