Lammert: „Wir leben in komplizierten Zeiten!“

Der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestags, Norbert Lammert, spricht in „Focus“ über die aktuelle politische Lage in Europa und der Welt. Zudem referiert Ex-EU-Kommissar Franz Fischler über die Europäische Union und das „Gift der Zerstörung“.

„Solange wir um unsere Freiheit gekämpft haben, wussten wir was wir wollen.
Jetzt sind wir frei und wissen nicht mehr, was wir wollen.
Wollen wir, was wir wissen?
Können wir, was wir wollen?" (Vaclav Havel)

Die Sendung zum Nachhören:

Für den traditionellen Medienempfang des Landes Vorarlberg konnte mit Norbert Lammert ein Mann gewonnen werden, der mit großer Versiertheit und zielgenauer Analyse seinen Blick auf die aktuelle politische Lage in Europa und der Welt freigibt. Es ist u.a. die Rede vom Jahr 2017 und einer Serie von Wahlen und Ergebnissen, die nicht immer überraschend ausgefallen sind, aber gelegentlich Ergebnisse hatten, die wiederum Herausforderungen für alle Beteiligten darstellen.

Sendehinweis:

„Focus" – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg
Samstag, 20. Jänner 2018, 13.00 bis 14.00 Uhr

Lammert, der von 2005 bis 2017 Bundestagspräsident war, erwähnt die Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich, Österreich, Deutschland und jene in Großbritannien, die am Jahresbeginn noch niemand auf dem Schirm hatte. 2018 gibt es eine Reihe historischer Jahrestage.

Die Globalisierung bringe es mit sich, dass die Menschen die weltweit gleichzeitig abspielenden Abläufe nicht mehr verstehen können. Es sei für sie nicht mehr nachvollziehbar, in welche Richtung sich die Welt bewege.

Deutscher Bundestagspräsident Norbert Lammert

ORF

Norbert Lammert

An der Stelle könne man auf der Suche für die Gründe, warum es die nationalen und populistischen Bewegungen gibt, fündig werden, so Norbert Lammert. Es sei das Bemühen, in einer immer komplizierteren Welt, Haltepunkte zu finden. Die Antworten auf die komplizierte Welt sind meist national und simpel. Die einzig brauchbare Antwort auf die Globalisierung gebe Europa mit der Antwort: Souveränität teilen, betont der ehemalige Bundestagspräsident.

Fischler: „Die EU und WIR - der europäische Traum und das Gift der Zerstörung“

Franz Fischler ist Präsident des Forums Alpbach und war von 1995 bis 2004 EU-Kommissar für Landwirtschaft, Entwicklung des ländlichen Raumes und Fischerei. Er sagt, die eigentliche Wende in der EU sei mit dem Jahr 2008 gekommen. Vorher habe der europäische Traum gegolten. Man habe gedacht, das werde linear immer so weitergehen. Es sei Gift, wenn man den Wert der Kooperation nicht mehr erkenne. Ein Gift sei die Missachtung der Subsidiarität.

Man hatte laut Fischler zu wenig darauf geachtet, dafür vorzusorgen, dass auf der europäischen Ebene nur Dinge gemacht werden, die einen großen Mehrwert für alle ergeben, wie etwa die großen weltweiten Handelsabkommen, die nur die Europäische Union machen kann. Daraus sei die Brexit-Debatte entstanden. Das war am Anfang die Debatte darum, dass man ländliche Entwicklungspolitik wieder stärker in die Mitgliedsstaaten zurückverlagert. Man müsste auch manche Regelungen wieder abschaffen. Im Lauf der Jahre sei die Distanz zwischen der EU und dem WIR immer größer geworden.

Franz Fischler in Alpbach

Andrei Pungovschi

Franz Fischler

Zudem beklagt Franz Fischler, dass wir die Kommunikation verlernt hätten. Kommunikation sei nicht nur Information, sondern auch Dialog. Bürgerinnen und Bürger sollten die Gelegenheit bekommen, ihre Sorgen zu äußern, ihre Fragen zu stellen und ihre Kritik anzubringen. Es entfremde die Bürger von dieser Union, wenn nicht mit ihnen gesprochen werde.

Zur Person:

Prof. Dr. Norbert Lammert, 1948 in Bochum geboren, Er gehörte seit 1980 dem Deutschen Bundestag an und war von 1989 bis 1998 Parlamentarischer Staatssekretär. Ab 2002 war er Vizepräsident und von 2005 bis 2017 bekleidete er als Bundestagspräsident das zweithöchste Amt der Bundesrepublik Deutschland. Derzeit ist er Präsident der Konrad Adenauer Stiftung.

DI Dr. Franz Fischler, ehemaliger EU-Agrarkommissar, studierte Landwirtschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien. Nach seiner Assistententätigkeit an der Universität war er 10 Jahre lang in der Landwirtschaftskammer für Tirol tätig, zuletzt als Direktor. Seine politische Laufbahn begann als Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft. Von 1995 bis 2004 war Dr. Franz Fischler EU-Kommissar und gilt als erfolgreicher Reformer der europäischen Landwirtschaft. Heute lehrt er an Hochschulen in Wien, Innsbruck und München und berät verschiedene Regierungen. Von 2005 bis Ende 2011 war Franz Fischler Präsident des Ökosozialen Forums, seit 20. März 2012 ist er Präsident des Europäischen Forums Alpbach.

Musik:

T* Rouge et noire, Valse musette
A: Wiener Akkordeonensemble
L: Gertrude Kisser
K: Felix Lee

GONNA FLY NOW (INSTR.)
DeETTA-NELSON-CONTI