Eugen Drewermann: „Warum Religion?“

In der Sendung „Focus - Themen fürs Leben“ geht es am Osterwochenende um die Frage: „Warum Religion?“. Eugen Drewermann analysiert das Thema: „Wir kommen und gehen und fragen: Wohin?“.

Sendungshinweis:

  • „Focus“, 26.3.2016, 13.00 bis 14.00 Uhr, ORF Radio Vorarlberg
  • 31.3.2016, 21.00 bis 22.00 Uhr (WH)

Der Mensch braucht Mut, um nach einer religiösen Wahrheit zu suchen, betont der Theologe, Therapeut und Schriftsteller Eugen Drewermann aus Paderborn. Angesichts der Herausforderung der Nähe zum Tod, der Gewissheit des Endes unseres Daseins wolle Religion Antworten vermitteln.

Die Sendung zum Nachhören:

Religion sei in unseren Tagen nötiger denn je, weil in unserer Gesellschaft die entscheidende Frage kaum noch artikuliert werde, nämlich wozu wir als einzelne Personen eine bestimmte Würde, eine unvertauschbare Einmaligkeit der Existenz besitzen. Das gesamte Wirtschaftssystem sei darauf angelegt, die Frage an uns zu richten, wofür wir nützlich wären, so Drewermann.

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Eugen Drewermann

Religion als Asylstätte

Für den Theologen ist es umso wichtiger, Asylstätten zu finden, „wo wir fragen können, wer wir selber sind, was mit uns gemeint sein könnte, welch ein Wort in uns selber danach drängt, sich Gehör zu verschaffen, weil nur wir es, gleich einer geheimen Dichtung, im gesamten Universum, bloß durch unser eigenes Dasein zu Gehör zu bringen vermögen.“

Die gesamte Natur habe uns hervorgebracht, ohne uns zu meinen. In ihr gelte der erste Satz der Thermodynamik, sagt Drewermann: „Energie wird im gesamten Kosmos weder vermehrt noch vermindert. Für den Energieerhaltungssatz sind wir Teil eines Nullsummenspiels, an einer bestimmten Stelle verdichtet sich die Betriebsenergie, bringt in gegebenen Strukturen Leben hervor, löst sich irgendwo auf, um irgendwo neu zu beginnen.“

Wir Menschen kommen und gehen und fragen wohin

Der Mensch muss angesichts des Todes leben, verdeutlicht Drewermann - „jeden Augenblick müssen wir vollziehen“, so Drewermann. „Deswegen brauchen wir Religion, weil nur sie eigentlich eine Antwort an uns zu vermitteln vermag, die in der ganzen Natur nicht enthalten sein kann. Genau da aber, wo Religion am meisten gebraucht wird, bewegt sie sich in der christlichen Herleitung in einem absoluten Paradox.“

Und Drewermann ergänzt: „Die kirchliche Lehre möchte, dass wir Gott im Hintergrund der Schöpfung - ihn, den Schöpfer, sehen, der seine Allmacht, seine Weisheit und seine Güte vermittels der ganzen Weltordnung und seinen intelligent gewordenen Kreaturen hat zeigen wollen. Die Kinder begegnen im Religionsunterricht in der Biologie, der Physik- einem vollkommen gegenteiligen Weltbild.“

Unvorhersehbares Leid in der Natur

Es gibt, so Drewermann, unvorhersehbares Leid: durch tektonische Verschiebungen kam es im Jahr 2004 zu 200.000 Toten auf Sumatra und Borneo. Oder die Katastrophe von Fukushima - der Natur sei egal, was an ihrer Oberfläche passiere. Wichtig ist Drewermann aber zu betonen, dass in allen Lehren zur Natur „nicht die geringste Antwort auf den menschlichen Schmerz und das Leid aller Kreaturen, die leidensfähig sind“ zu finden sei. "Es ist fast so, als erzöge uns die Natur zur Grausamkeit.“

Entweder sei Gott mächtig, gütig und weise und er habe alles so eingerichtet, wie er es wollte, dann habe er keine Güte besessen. Er habe eine Physik in die Welt hineingelegt, die Gefühle nicht kenne, den Aufschrei menschlicher Qual nicht höre, sie vollziehe sich blind, im Spiel der Quantenmechanik, durchsetzt mit vielen Zufällen, blinden Ansätzen, die wieder zurückgenommen werden.

Die gut eingerichtete Welt und ihr Gegengeist

Ist Gott gütig, weise und hat er das Beste gewollt, dann gebrach’s ihm an der Macht sich durchzusetzen? Das Christentum sagt, der Teufel kam dazwischen. Und Gott lässt ihn sein Unwesen treiben, bis zum jüngsten Tag. In der Ostkirche und im Koran interpretiert man, der Teufel ist gar nicht der Teufel, sondern er – Gott - habe das Mitleid besessen, das in der Schöpfung nicht vorkommt. Das sei nicht seine Manifestation, sondern seine Verdunkelung.

Die Jüdin Simone Weil schrieb in den 1940er Jahren „Das Unglück und die Gottesliebe“: „Gott offenbart sich nicht in der Schöpfung, eher verhüllt er sich davor. Wir bräuchten einen ganz anderen Zugangsweg.“

Es müsste so etwas geben wie ein Schutz, eine Hoffnung, einen Trost, eine Geborgenheit, so Drewermann. Die Natur habe sie für uns nicht bereit, aber jedes Kind, das in die Welt hineingeboren wird, suche sie in den Armen seiner Mutter, würde es sie vermissen, fehlte ihm der Vater. Und es seien letztlich solche Erfahrungen, wenn wir von Gott sprechen, als dem absoluten Vater oder der absoluten mütterlichen Güte.

„Eine Stimme, die uns will“

Dem Schöpfungsoptimismus wird nach Drewermann im ersten Kapitel des Johannes-Evangeliums eine integrative Antwort gegeben, vom Anfang her. „Im Anfang war das Wort“ und nicht „schuf Gott Himmel und Erde“.

Es wolle sagen, dass diese Welt, die Mechanik der Natur, die Widerspiel aus Zufall und Notwendigkeit, diese sinnlose Bühne endloser Quälereien als eine Schöpfung entdeckt werden könne, wenn es in all dem eine hörbare Stimme gebe, die uns meine, in unserem kleinen, scheinbar zufälligen, kurzlebigen Dasein.

„Eine Stimme, die uns möchte und will, die uns anredet, damit wir sind, die selber personhaft ist, damit sie in uns die Fähigkeit zur Person-Werdung weckt. Menschen können nur zur Person werden, indem man mit ihnen redet. Wir können nur ein ICH entwickeln, indem man zu uns redet.“

Der Glaube an Gott als Schöpfer

Der Glaube an Gott als den Schöpfer, diene als erstes nicht der Begründung der Welt und ihrer Ordnung, sondern sie diene der Begründung einer Menschlichkeit, die einer Welt, die niemals menschlich sein kann, standzuhalten vermag und uns bei der Hand nimmt und uns bewahrt, vor all den Irritationen, die sonst in den Abgründen, der Welt schlummern würden. Sonst fielen wir zurück in eine Welt, die wir sonst nicht verstünden.

Der Zweifel

So oft hören wir Menschen sagen: „Ich kann nicht mehr an Gott glauben“, führt Drewermann aus. Ein Elternpaar sagte etwa nach dem durch den Copiloten zum Absturz gebrachten Germanwings-Maschine: „Wo war denn da Gott?“

Eugen Drewermann meint dazu: „Es ist nicht anders möglich als zu glauben, wir seien mit unserem Leben gemeint angesichts aller Vergänglichkeit. Es bedeutet im Grunde, dass wir an Gott zweifeln, wenn wir unser eigenes Leben und die Menschen, die uns in der Liebe nahestehen, wie vergeudet finden, wie nicht beachtet - im Grunde überflüssig, ein beliebiger Spielstein im Haushalt der Natur. Wenn es so erscheint, ist keine Religion mehr glaubhaft, kein Glaube an Gott mehr glaubwürdig.“

Der Glaube und die Kostbarkeit des Lebens

Aber es sei genau umgekehrt, betont Drewermann: „Der Glaube beginnt damit, dass wir daran festhalten;
Jedes einzelne Leben hat eine unverzichtbare Kostbarkeit." Nirgendwo als in der Religion werde dem individuellen Leben die Würde geschenkt, verweist Drewermann auf den Philosophen Immanuel Kant. Da beginne der Glaube.

Diesen Vortrag konnten wir im Rahmen der Vortagsreihe „Wissen fürs Leben“ im Arbeiterkammersaal in Feldkirch aufzeichnen.

Zur Person:

Dr. theol. Eugen Drewermann, geboren 1940, ist wohl der bekannteste Theologe der Gegenwart. Drewermann ist als Schriftsteller, Referent, Psychotherapeut und als Lehrbeauftragter tätig. Nach Entzug seiner Lehrerlaubnis und Suspension vom Priesteramt arbeitet er als Therapeut und Schriftsteller. Er hat mehr als 80 Bücher verfasst, darunter „Tiefenpsychologie und Exegese“, „Glauben in Freiheit“. Drewerman hat die vier Evangelien und die Apostelgeschichte selbst übersetzt und tiefenpsychologisch analysiert und interpretiert, zudem hat er zahlreiche Märcheninterpretationen veröffentlicht.

Literatur:

Eugen Drewermann, Wendepunkte - oder: Was eigentlich besagt das Christentum? Patmos Verlag

Musik:

Wassermusik
Dornacher Saitenmusik

STV8215.21
Here comes the sun
NINA SIMONE