„Burnout bei Kindern und Jugendlichen“

Michael Schulte-Markwort spricht in „Focus“ über das Thema: „Burnout bei Kindern und Jugendlichen. Wie das Prinzip Leistung überfordert“.

Sendehinweis:

  • „Focus“, 27.2.2016, 13.00 bis 14.00 Uhr, ORF Radio Vorarlberg
  • 3.3.2016, 21.00 bis 22.00 Uhr (WH), ORF Radio Vorarlberg

Perfektionistische Jugendliche zerbrechen an ihrem Perfektionismus, sagt Schulte-Markwort. Mehrheitlich seien es leistungsorientierte Mädchen, die in ein Symptom-Karussell geraten. Der Leistungsknick sei immer auch ein Knick im Selbstwertgefühl dieser Jugendlichen.

Die Sendung zum Nachhören:

Der Facharzt ergänzt: „Kraft- und Antriebslosigkeit stechen hervor, für die Jugendlichen und Kinder wird alles als anstrengend empfunden. Der Suizid, dass Jugendliche sagen, es mache alles keinen Sinn mehr für sie, kommt in diesem Zusammenhang doch eher selten vor.“

Focus Michael Schulte-Markwort

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Michael Schulte-Markwort

Tempo als Herausforderung

Burnout treffe nicht alle Kinder und Jugendlichen, sagt Schulte-Markwort. Diesen Eindruck gelte es bei der Gefahr der Übertreibung zu vermeiden. Es seien die Schlagworte wie komplette Vernetzung, Industrie 4.0, das enorme Tempo, die uns allen zu schaffen machen. Wir seien gefordert, damit zurecht zu kommen. Wichtig sei etwas zu schaffen, das lebenswert ist, sagt der Kinder-und Jugendpsychiater eingangs.

Der Optimierungswahn

Manche Eltern wüssten vor lauter Optimierungswahn nicht mehr, ob sie fördern oder fordern sollen. „Eltern übersehen nicht selten, dass sie Superkids haben. Sie versuchen nicht selten aus Superkids Superkids zum Quadrat zu machen“, beklagt Schulte-Markwort. Kein Kind habe Lust auszuscheren, auszuweichen und auszubrennen.

Jeder hat individuelles Anpassungsvermögen

Burnout sei keine offizielle WHO-Diagnose. Es gehe dabei um Probleme mit der Lebensbewältigung. Es stehe, weil es keine Diagnose gebe, im Verdacht, nichts Echtes, nichts Richtiges zu sein. „Burnout sind Erschöpfungsdepressionen; dabei geht es um das Anpassungsvermögen eines Menschen gegenüber einer Überforderung“, so Schulte-Markwort.

Man könne jeden Menschen mit einer Überforderung in eine Erschöpfungsdepression treiben, sagt der Experte. Das seien gängige Methoden in Arbeitslagern, man müsse die Anforderungen nur hoch genug schrauben, dann breche jeder Mensch zusammen. Natürlich hätten unterschiedliche Kinder ein unterschiedliches Anpassungsvermögen.

Burnout - betroffene Jugendliche

Mädchen und Schüler höherer Schulen seien häufiger betroffen. Burnout sei nach Studien auch mit Cannabis und Alkoholkonsum korreliert. Das könne er aufgrund seiner klinischen Erfahrung nicht bestätigen, sagt Schulte-Markwort. Schlechte Schüler geraten weniger in ein Burnout als gute. Zudem korreliert Burnout mehr mit schwierigen Familienbeziehungen - und es hänge auch am Schulklima.

Das Prinzip Leistung

„Es gibt keine einzelne Ursache, sondern sie setzt sich zusammen aus vielen Einzelteilen. Unsere Gegenwart ist durchorganisiert von Dingen, bei denen es um Konsum und monetäre Werte gehe, bestätigt Schulte-Markwort.

Er ergänzt: „Familien geraten immer mehr in die Ökonomiefalle, in der es um mehr, aber nicht um Qualität geht. Die Ökonomie bestimmt alles. Wir wundern uns dann, wenn die Kinder den Designerjeans hinterherrennen. Die Jagd wird zur Hetze, die kein Endziel hat. Vergeblich auf der Suche nach Sinn, bis der Betroffene nicht mehr weiterkann.“ Den Kindern werde nicht vorgelebt, wie andere Werte entstehen können, mahnt Michael Schulte-Markwort.

In Familien ist maximale Organisation die Devise. Und wenn jemand ausfällt, sei die Katastrophe da. Die Ansprüche der Eltern an sich selbst übertragen sich auf die Kinder und die Ratlosigkeit in den Familien vergrößere sich anhand widersprüchlicher Hinweise von Ratgebern. Letztlich sei Ratlosigkeit nicht gut, wenn man weniger Stress möchte.

Mama-Logistik

Die Mama-Logistik findet ihren Niederschlag im Mama-Shuttle und der unersetzlichen Mama-Nachhilfe für die Schule. 65 Prozent aller Schulkinder sagen, dass sie die Aufgaben nur mit Mama bewältigen. Ohne die Leistung der Mütter würde in Sachen Kinder nichts laufen, sagt Schulte-Markwort.

Gerade die Mütter seien mit der Abwehr des eigenen Burnout beschäftigt: Sie seien es, die versuchten, alles miteinander zu vereinbaren: Beruf, Familie, Zuverdienst, dazu die Anforderung an Frühförderung, die maximale Ausschöpfung der kindlichen Talente.

Hort der Sicherheit

Trotz allem bleibe die Familie ein Hort der Sicherheit, der Fürsorglichkeit und der gegenseitigen Liebe. Sie mute wie eine Festung gegen die weltweite Destruktion und Traumatisierungsgefahr an. Diese Welt der Familie ist brüchig, weil Eltern erschöpft und ausgebrannt sind.

Kindheit ist ohne Schule nicht denkbar. Schule sollte ein Ort des zufriedenen Lernens sein. Enttäuschte, deprimierte und pessimistische Kinder seien die Folge, weil Lehrer den Lernerfolg der Kinder auf die Kinder abwälzen, ohne ihr eigenes Tun zu hinterfragen, beklagt Schulte-Markwort.

Zur Person:

Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort, geboren 1956 in Osnabrück, studierte Medizin und Philosophie in Marburg und Kiel. Nach seiner Ausbildung zum Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Lübeck erwarb er den Zusatztitel Psychotherapeut mit Schwerpunkt Psychoanalyse und Psychodrama.

1997 habilitierte er und wurde Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Hamburg. Seit 2004 ist er Ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und dem Altonaer Kinderkrankenhaus.

Nach Fachveröffentlichungen u.a. zum Thema Magersucht widmet er sich nun dem brennenden Problem des Burnout bei Kindern- und Jugendlichen, das er erstmalig für Deutschland diagnostiziert hat.

Literatur:

Burnout-Kids: Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert Gebundene.
Pattloch Verlag.

Superkids: Warum der Erziehungsehrgeiz unsere Familien unglücklich macht
Pattloch Verlag.

Musik:

G* IG Komponisten IGNM Salzburg Kammerkonzert Neue Musik aus Salzburg
T* Burnout ? - für Hackbrett und Hammerklavier

S: Doris Müller/Hackbrett
S: Per Rundberg/Hammerklavier

All by myself
Celine Dion

„Ein Zwiefacher“
Flow Job
Bremens anarchistische Stadtmusikanten.