„Gesunde Autonomie und Scheinautonomie“

Prof. Dr. Franz Ruppert, psychologischer Psychotherapeut und Professor für Psychologie, spricht in der Sendung „Focus“ bei ORF Radio Vorarlberg über das Thema „Mit Blick auf`s eigene Leben. Gesunde Autonomie und Scheinautonomie“.

Die Sendung zum Nachhören:

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

„Wir können nicht frei sein, wenn wir in der Vergangenheit verhaftet sind. Die Zukunft ist ansonsten nur eine Wiederholung was wir schon getan und erlebt haben und es kann damit wenig Neues passieren, wenn wir uns nicht der eigenen Vergangenheit stellen“, stellt Prof. Ruppert eingangs fest.

Sendungshinweis:

„Focus“, 26.7.2013

Autonomie stehe unter dem Vorzeichen einer Geschichte einer Lebensgeschichte, einer menschlichen Biographie, einer Familienbiographie und einer Biographie, in der man aufgewachsen und groß geworden sei. „All das prägt und bindet uns. Autonomie kann nur dort wachsen, wo wir auch ein Stück aus den Bindungen frei machen können.“

Der entwicklungspsychologische Ansatz

Es geht dabei um Bedürfnisse und Entwicklungen eines Menschen. Man müsse sich fragen: „Gibt es Autonomie und das Gegenstück dazu, die Symbiosebedürfnisse?“

Ruppert unterscheidet verschiedene Formen von Autonomie: gesunde Autonomie oder eben die Pseudo - bzw. Scheinautonomie. Seiner Meinung als Psychotherapeut nach ist es die Aufgabe der Psychotherapie, den Menschen zu einem autonomeren Wesen zu machen. Psychotherapie soll Autonomie fördern.

Autonomie wirft viele Fragen auf

Autonomie meint in seiner ursprünglichen Bedeutung, dass man sich sein eigenes Gesetz machen kann. Es geht um Selbständigkeit, Selbstbestimmung, Willens- und Entscheidungsfreiheit, Unabhängigkeit und Selbstverwaltung. Die Pädagogik, die Philosophie, die Politologie haben einen unterschiedlichen Ansatz. Ruppert nähert sich diesem Thema aus psychologischer und psychotraumatologischer Sicht an.

Franz Ruppert

Privat

Franz Ruppert

Die Autonomie wirft sehr viele Fragen auf: Was passiert wenn mein Partner autonom wird? Kümmert er sich dann nur noch um sich und nicht mehr um mich oder die Kinder? Steht er nicht mehr zu seinen Verantwortungen? Wenn ich autonom bin, bin ich dann allein oder einsam? Werde ich dann von den anderen noch gemocht? Die Autonomie ist ein spannungsvoller Begriff: Einerseits klingt er toll, auf der anderen Seite macht er aber auch Angst.

Eigenem Gedächtnis trauen

Bei der Autonomie geht es ums Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Selbstbewusstsein. Es gibt auch Autonomiebedürfnisse. Es geht darum, sich selbst wahrnehmen zu können ohne Vorgabe von anderen. Man sollte seinem Gefühl vertrauen dürfen und genauso sei es mit dem Denken, so Ruppert. Es gehe auch darum, dass man seinem eigenen Gedächtnis trauen könne.

Man müsse auch seine eigene Sprache haben, sich selbst ausdrücken, über ein eigenes Ich verfügen, eigenständig sein und in sich selbst den Halt finden - sich nicht immer nur anlehnen zu müssen. Wenn niemand da ist, sollte man nicht das Gefühl haben verloren zu sein. Wichtig sei das Gefühl, alleine sein zu können ohne in einen Abrund zu stürzen.

Symbiose- und Autonomiebedürfnisse

Die menschliche Entwicklung ist in ihrer gesamten Lebensspanne immer in einem Wechsel zwischen Symbiose- und Autonomiebedürfnissen.

Das noch nicht geborene Kind ist auch schon autonom, meint Ruppert, weil da vielleicht Lärm um es herum ist und weil es seine Ruhe haben will. Das Kind bestimme es in gewisser Weise mit, wann es auf die Welt kommen möchte. Es habe ein Gefühl dafür, wann es so weit sei.

Das sei auch schon etwas sehr Individuelles, weil das Kind mit seiner Mutter den Geburtstermin aushandle, ergänzt Prof. Ruppert. Es könne aber auch durch den Wunsch eines Kaiserschnitt-Termins in die Autonomie eingegriffen werden.

Was bedeutet Symbiose?

Symbiose bedeutet nichts anderes als „Zusammenleben“. Es geht um das Zusammenleben innerhalb einer Art. Die Menschen sind Nesthocker, Herdentiere - insofern als wir auf die Herde und den Anderen angewiesen sind, gerade wenn wir auf die Welt kommen, weil wir den anderen brauchen in der Sexualität; Dazu gibt es ein Grundgefühl: Das ist die Angst, die Angst vor dem Alleinsein, vor dem Verlassen- und dem Ausgestoßenwerden, dem nicht-dazu-gehören dürfen. Das Fühlen, was die anderen denken, wie sie sich uns gegenüber benehmen und verhalten, resultiere aus dem symbiotischen Grundbedürfnis. Wir haben die Fähigkeit, uns in andere hineinzufühlen: wie passen wir zusammen, wie können wir uns zusammentun?

Die traumatische Betrachtungsweise

Manche Menschen stoßen an Punkte, wo sie in ihrer Lebensbetrachtung nicht mehr weiterkommen. Als Therapeut hat sich Franz Ruppert darauf spezialisiert. Er habe diese traumatischen Erlebnisse oft als jene Bereiche entdeckt, in denen man nicht weiter wusste. Die Urtraumatisierung hat etwas mit den Ur-bindungen zu tun, vor allem die Mutter-Kind-Bindung. Das sogenannte Symbiosetrauma habe weitreichende Konsequenzen. Die Bindungsbeziehung (wie die Beziehung des Kindes zur Mutter) könne für ein Kind ein Symbiosetrauma werden. Und zwar dann, wenn das Kind, was es macht und kann, ohnmächtig ist, einen stabilen Halt gebenden Kontakt zu seiner Mutter aufzubauen, die selbst traumatisiert ist. Ein Symbiosetrauma entwickele sich auf der Basis der Mütter - z.B.:Totgeburt, Kriegserfahrungen könnten Mutter traumatisiert haben.

Trauma ist, wenn Stressprogramme versagen

Das Trauma ist für Prof. Ruppert, wenn in einer lebensbedrohlichen Situation all unsere Stressprogramme versagen und wir zusätzlich die Lebensgefahr steigern und deswegen müssen wir unsere Stressprogramme unterdrücken, um zu überleben.

Normalerweise würden Stressprogramme helfen, eine Gefahrensituation zu bewältigen, aber es gibt Situationen, in denen wir unter Stress dann handeln und dadurch die Situation noch schlimmer machen und somit unsere Überlebenssituation verringern.

Nach einer erlittenen Trauma-Erfahrung habe der Mensch eine dreifache Psychostruktur: Wir hätten dann einen gesunden Anteil, einen traumatisierten Anteil, in dem dann die ganzen traumatischen Erlebnisse noch präsent sind. Laut Ruppert haben wir aber auch die Gegenspieler zu den dramatisierten Anteilen, nämlich die Überlebensanteile, die alles dafür tun, das Trauma aus dem Bewusstsein zu bringen.

Die Aufstellung

Professor Franz Ruppert entwickelte die psychotherapeutische Methode der Familien-Aufstellung weiter. Hier erfolgt das Aufstellen eines Anliegens. Die Methode verhelfe dazu, therapeutische Prozesse zu initiieren und zu begleiten. Das Aufstellen des Anliegens findet in einer Gruppe statt. Die Gruppe ermöglicht eine Öffentlichkeit, in der bestimmte Dinge gesagt werden, die vielleicht sonst noch nie in der Art angesprochen wurden.

In der Gruppe sitzen somit Zeugen der eigenen Biographie, die auch mitfühlen. Der Klient könne sich aus der Gruppe jemanden auswählen- einen Stellvertreter-, ihn sozusagen aufstellen und das Anliegen benennen. Der Klient gehe dann mit seinem Anliegen in Beziehung und insofern auch mit sich selbst.

Der Vortrag wurde von Bernard Reichenpfader bei den Goldegger Dialogen 2013 aufgezeichnet und uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Zur Person:

Prof.Dr. Franz Ruppert(www.franz-ruppert.de): Abitur am musischen Gymnasium in Eichstätt. Studium Psychologie an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München. Promotion zum Dr.phil erfolgte 1985 an der Technischen Universität München. Seit 1992 Professor für Psychologie an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München. 1999 Approbation als psychologischer Psychotherapeut vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung.

Die Entwicklung der mehrgenerationalen Psychotraumatologie ist der Hauptinhalt meiner Lehrtätigkeit geworden. Sie geht Hand in Hand mit meiner praktischen Tätigkeit und der Fortentwicklung der Aufstellungsmethode zu einem traumatherapeutischen Instrument.

Literatur:

Trauma, Angst und Liebe. Unterwegs zu gesunder Eigenständigkeit. Wie Aufstellungen dabei helfen. Kösel Verlag

Symbiose und Autonomie: Symbiosetrauma und Liebe jenseits von Verstrickungen Klett Cotta