Focus zum Thema „Wie wollen wir leben?“

"Wie wollen wir leben? Oder: Worin besteht die Kunst des Lebens!“ Über dieses Thema sprechen Univ.-Prof. DDDr. Clemens Sedmak & Univ.-Prof. Dr. Meinhard Miegel in der Sendung „Focus“ bei ORF Radio Vorarlberg.

Die Sendung zum Nachhören:

Sendungshinweis:

„Focus“, 28.6.2013

Clemens Sedmak unterscheidet nach dem amerikanischen Philosophen Harry Frankfurt nach Wünschen erster und zweiter Ordnung. Wünsche erster Ordnung sind etwa: „Ich will ein neues Haus, eine neue Frau einen neuen Hund“. Wünsche zweiter Ordnung sind die eigene Innenwelt, aus der diese Wünsche resultieren. Es gehe also darum in religiösen Traditionen, diese Innenwelt besser in den Griff zu bekommen, so Sedmak.

Merkmale unserer Zeit: Schnelligkeit und Fülle

„Wie wollen wir leben?“ - das sei eine Frage nach dem Kontext: Es gehe alles sehr schnell und alles sei etwas viel.

Clemens Sedmak

IFZ Salzburg

Clemens Sedmak

Neben der Schnelligkeit ist, wie Sedmak ausführt, die Fülle ein weiteres Merkmal unserer Zeit. Das Familienleben sei zunehmend überfrachtet, sprich verplant. Die Reaktionen seien unterschiedlich: Die einen würden sich ausklinken, seien die „Abgehängten“. In Deutschland schlage sich die Caritas mit den erschöpften Familien herum, sagt Sedmak. „Die Eltern stehen am Morgen nicht mehr auf, sie öffnen die Post nicht mehr, sie gehen nicht mehr aus, sie bezahlen keine Rechnungen mehr, weil sie erschöpft sind“.

Hier kommt die Rede auf das erschöpfte Selbst: Die Reaktion ist das Aussteigen, das Abhängen, das nicht mehr Mitkommen. Alain Ehrenberg hat im Jahr 1990, ob der Zunahme der psychischen Belastungen und Erkrankungen, das Buch „Das erschöpfte Selbst“ geschrieben. Beschrieben wird darin, dass "immer mehr Menschen dazu gezwungen sind eine Rolle zu spielen, die sie nicht selbst sind.

Die „Overachievers“

Mit "Overachievers "sind jene gemeint, die versuchen immer mehr und mehr zu machen, dann nie zufrieden und getrieben sind. „Du erreichst nie den Sättigungspunkt und das führt zur Finanz-krise und ähnlichen Desastern“, ergänzt Prof. Sedmak.

Umstellen auf „immaterielle Werte“

„Der hohe Preis des Materialismus“ lautet der Titel einer Studie des US-amerikanischen Professors Tim Kasser. Er macht darauf aufmerksam, dass es ungesund ist, wie wir leben. Es gebe eine Korrelation zwischen den Arbeitsstunden, die wir erledigen und der Belastung für die Umwelt - insbesondere ab der 35. Wochen-Arbeitsstunde. Hier steige die Umweltbelastung, die jeder ab der 35. Wochenstunde erzeuge. Tim Kasser fragt: „Wer bezahlt den Preis?“ Wir müssten uns darauf einstellen, uns von unseren materiellen auf immaterielle Werte umzuerziehen bzw. umzugewöhnen.

Vier Kernwerte

Kasser schlägt vier Kernwerte vor, an denen wir uns orientieren können: Sicherheit, Selbstwirksamkeit (mit eigenen Händen die Welt verändern zu können), Verbundenheit (die Erfahrung mit anderen Menschen verbunden, in Beziehung zu sein) sowie die Glaubwürdigkeit (die Originalität - den Weg, den ich gehe, weil er nur mir so entspricht).

Das Buch Samuel 1 Sam 17,39

Sedmak kommt auf zwei Bilder aus dem Alten Testament zu sprechen.

In der Millionenshow hätten religiöse Fragen einen immer höheren Wert, weil die Menschen kaum mehr eine Ahnung davon hätten.

Das erste Buch Samuel im Alten Testament beschreibt die Szene, in der der kleine David sich bereit erklärt hat, gegen Goliath anzutreten. König Saul, der auf David eifersüchtig werden wird, gibt David seine Rüstung. Sauls Rüstung war die schwerste, beste und schönste der damaligen Zeit. In dieser Rüstung versucht David zu gehen und schafft es nicht. Dieses Bild hat nach Prof. Sedmak mit uns zu tun, weil wir Zwerge in zu großen Rüstungen seien. Wir Menschen könnten immer mehr, was Gestaltung, Manipulation und sogar die Zerstörung des Planeten Erde betreffe. Die Annahme, dass das Innere analog dem Äußeren wachse, würden wir aber nicht sehen, ergänzt Sedmak.

Das, was sich auf das Innere des Menschen bezieht, versteht auch der Mensch des 21. Jahrhundert. „Wir verstehen das 1. Buch Samuel, Aristoteles und Shakespeare und die Psalmen.“

Prof. Sedmak meint, das Innere schrumpfe und das Äußere wachse. "Wie beklemmend ist die Vorstellung, dass moralisch Schwache, unterentwickelte und unreife Menschen mit großer Macht hantieren, also moralische Zwerge sind und in Körpern von Riesen sitzen?“ ergänzt Professor Clemens Sedmak.

Das Leben als Bild- das Lebenszelt

Das Leben als Reise: Was passiert da, wer begleitet dich? Das Bild des Baumes, das Gedeihen - das Leben als Buch, das wir schreiben, das Leben als Teppich oder das Leben als Zelt. Clemens Sedmak nimmt Bezug auf den Prolog des Johannes-Evangeliums, wo Gott Mensch geworden ist und unter uns gezeltet - gewohnt - hat. Das Zelt erinnert uns daran, dass wir es wieder abbrechen werden und wenn wir es nicht machen, tun dies andere über uns.

Zudem müsse das Zelt verankert werden. Jede Bindung sei ein Zeltpflock - jede Freundschaft, jede Beziehung, jedes Engagement, jede Bindung an eine religiöse, eine ideologische oder an eine andere Gruppe sind Bindungen. Dadurch bekomme ich Identität und Profil.

Was ist ein gutes Leben, wie wollen wir leben? Was ist ein gutes Lebenszelt? Wann ist ein Lebenszelt gut verankert? Wir bräuchten laut Sedmak in unserem Leben nicht nur Leben, sondern auch einen Lebensplatz. Es brauche nicht nur die Arbeit, es braucht einen Arbeitsplatz, wo wir Identität, Profil und Kontur bekommen.

„Ich verstehe Armut und Ausgrenzung wesentlich als Deprivation – als eine Beraubung- von Identitätsressourcen, als Beraubung von den Pflöcken, die das Lebenszelt verankern könnten,“ beschreibt Sedmak die Metapher.

Wie wollen wir leben?

Auf welche Gesellschaft würden wir uns einigen können? Größte Freiheit für alle und Schutz für Schutzbedürftigen?

Manche Menschen sagen: „Ich möchte gerne glücklich sein.“ 2012 kam der World-Happiness-Report der UNO heraus. Möchtest du in Glück schaffende Dinge investieren? Das Königreich Bhutan hat versucht, dies als Gesellschaft zu leisten und hat das „Brutto-National-Glück“ eingeführt und in die Verfassung aufgenommen.

Was dem Menschen Glück bringt, seien Zeit, intakte Natur und Aufmerksamkeit. Bhutan nimmt volkswirtschaftliche niedrigere Erträge in Kauf um die Wirtschaft schützen. 26 Prozent der Fläche Bhutans wurden unter Schutz gestellt. Bhutan beschränkt die Zahl der Touristen, weil man Massentourismus vermeiden will.

Wie leben wir?

Es gibt unterschiedliche Vorstellungen davon, wie wir leben wollen - von einer gemeinschaftsorientierten Perspektive einer Gesellschaft über die Wettbewerbs-gesellschaft, bis hin zur Staatsgesellschaft - also dem ausgeprägten Sozialstaat.

„Wie werden wir leben?“ Auch dafür gibt es unterschiedliche Antworten: „Wir leben in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche“, sagen die einen - die anderen meinen, wir lebten in einer Zeit nachhaltiger Veränderungen bzw. in einer Zeit grundlegender Umbrüche.

Keine Angst vor Transformationsperioden

„Wir leben in einer Zeit der Transformation, einer Zeit des Paradigmenwechsels. Es wird sich in den kommenden zwanzig Jahren mehr verändern, als in den zurückliegenden 100 Jahren“, aber haben sie keine Angst, mahnt Professor Meinhard Miegel.

Meinhard Miegel

Zukunft Denkwerk Zukunft Bonn

Meinhard Miegel

Solche Umbrüche habe es in der Menschheitsgeschichte immer wieder gegeben. Miegel erwähnt das Ende des neolithischen Zeitalters (Sammler und Jägerperiode). Damals bildeten sich Ackerbauern heraus. Die Agrargesellschaft ging aus der neolithischen hervor. Daraus wiederum ging die Industriegesellschaft hervor. Es entstand die Industriegesellschaft mit einer neuen Klasse: der Arbeiterklasse:

Die Rolle von Wachstum und Wohlstand

Für die derzeit laufende Transformation gibt es noch nicht einmal einen Namen. Ist die derzeitige vergleichbar mit den vorangegangenen Transformationen? „Wir haben keine Wahl“, sagt Professor Miegel.

Bei der Jagd nach dem Materiellen hättenwir vieles in uns nicht entdeckt: Genuss, das sinnliche Wahrnehmen, die Regio-nalität, die Mobilität. Die Veränderung müsse nicht bedeuten, dass sich das Leben verschlechtern müsste. Jedenfalls meint Meinhard Miegel: “Die Periode der materiellen Expansion ist vorbei.“

Zur Person: Clemens Sedmak

Univ.-Prof. DDDr.Clemens Sedmak ist ein österreichischer Theologe und Philosophieprofessor am King’s College (www.kcl.ac.uk/index.aspx)London, Universität London und Leiter des Zentrums für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg sowie Präsident des ifz-salzburg (internationales Forschungszentrum für soziale und ethische Fragen). Er promovierte an den Universität Innsbruck und der Universität Linz in Philosophie, Theologie und Sozialtheorie. Anschließend folgten weitere Studienaufenthalte in New York und an der ETH Zürich. Im Jahr 1999 habilitierte er an der katholisch-theologischen Privatuniversität Linz in Fundamentaltheologie und ein Jahr später an der Universität Innsbruck in Philosophie. Sedmak ist verheiratet und hat drei Kinder.

Literatur:

Geglücktes Leben: Was ich meinen Kindern ans Herz legen will. Clemens Sedmak. Herder Freiburg i.Br.

Quellen des Glücks: Von der Kunst des guten Lebens. Alois Kothgasser und Clemens Sedmak Tyrolia Verlag.

Zur Person: Meinhard Miegel

Univ.-Prof.Dr. Meinhard Miegel gründete zusammen mit Kurt Biedenkopf 1977 das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft in Bonn (IWG BONN), ein privat finanziertes Forschungsinstitut, dem er bis zu dessen Auflösung (2008) vorstand.

1992 wurde Miegel als außerplanmäßiger Professor an die Universität Leipzig berufen, wo er bis 1998 lehrte und das Zentrum für internationale Wirtschaftsbeziehungen leitete. Dieses Zentrum ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung, die „die politisch-historischen Rahmenbedingungen und die soziokulturellen Einflüsse des wirtschaftlichen Wandels in Mittel- und Osteuropa“ erforscht. Von 1995 bis 1997 war er außerdem Vorsitzender der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen. Seit 2007 ist Miegel Vorstandsvorsitzender vom Denkwerk Zukunft - Stiftung kulturelle Erneuerung.

Literatur

Exit: Wohlstand ohne Wachstum. Meinhard Miegel. List

Musik

CD* LEGEND OF THE SEVEN DREAMS T* Mirror stone II/instr. S: Jan Garbarek/Sopransaxophon

CD* I TOOK UP THE RUNES T* Molde canticle, Part 5/instr. S: Jan Garbarek/Saxophon

Wonderful Life BLACK Vearncombe