Prof.Dr. Oskar Negt: „Die größte Gefahr ist die vernachlässigte Demokratie“

Prof.Dr. Oskar Negt spricht über Gefahren für die Demokratie, Europa, die soziale Krise und die Rolle der Medien, deren Aufgabe es ist, demokratische Elemente der Gesellschaft zu vermitteln.

Die Sendung zum Nachhören:

Der Friedensnobelpreis für die „EU“

Der Friedensnobelpreis für „EU“ vom vergangenen Jahr war Unterstützung für das europäische Friedensprojekt und andererseits ist es ein Signal an Europa selbst die Friedensfähigkeit zu bewahren und auszubauen, sagt Prof. Negt.

Sendehinweis:

„Focus“, 27.4.2013

Europa in der Krise

Europa befindet sich in der Krise: Rettungsschirme, Stabilitätsmechanismen, Rating-Agenturen und Sparprogramme; das sind die Stichworte, die dieses EU-Europa seit ein paar Jahren begleiten und uns Menschen oft nicht sehr frohgemut stimmen, weil mit ihnen Bankenrettung einerseits und sozialer Abstieg andererseits in Zusammenhang gebracht werden.

Ein Blick an einem Tag an das weltweite Börsengeschehen macht deutlich, hier gehe es um einen realen Warenwert. „Nur fünf Prozent von 3 Billionen Vorgängen täglich haben beim Börsenhandel mit Wirtschaftsleistung zu tun“, sagt der Sozialphilosoph Oskar Negt.

Die EURO-Zentristen

Die reine Konzentration auf den EURO berge die Gefahr der Spaltung Europas in sich. Es sei nicht so, dass die geretteten Banken sich europäisch solidarisch verhalten würden, meint Negt. Die riesigen Summen, die verteilt würden, 750 Milliarden Euro seien verpfändet worden; Negt nennt dies eine bedrückende Realität.

Die grundlegenden Probleme eines Ge- oder Misslingens der europäischen Integration werde daran gemessen, wie man mit den sozialen Problemen umgehe.

Die Gefahr für die Demokratie und die soziale Krise

Wir scheinen keine Zeit für die Weiterentwicklung von Demokratie, für Solidarität und Visionen für dieses Europa, kurz gefasst- für „Eurovisionen“ - zu haben.

Alles komme in Gefahr, wenn wir die Gesellschaft, die Demokratie und die gemeinsamen öffentlichen Dinge ( das Gemeinwesen) vernachlässigen und damit legt der Sozialphilosoph Oskar Negt den Finger auf einen wunden Punkt: wir dürfen die Grundlage unseres demokratischen Rechtsstaats nicht vergessen. Nicht nur dass die kulturelle Vielfalt Europas zunehmend unberücksichtigt bleibe, sei die Krise in einzelnen Ländern eine handfeste soziale Krise geworden, mit den Anfälligkeiten für extremistische Tendenzen, die die Demokratie unterwanderten.

Die hohe Arbeitslosigkeit einerseits und die Veränderungen in der Arbeitswelt andererseits, bedrohten die Identität: nicht nur der Gesellschaft, sondern auch des einzelnen Menschen; Professor Negt spricht von der Ideologie der Flexibilisierung in der Arbeitswelt: gemeint ist damit, dass eine Flexibilität vom Menschen abverlangt werde, der mittlerweile mehrere Jobs benötige, um leben und eine Familie erhalten, zu können; zudem habe dieses fragmentierte Leben katastrophale Auswirkungen auf das soziale Leben.

Der Möglichkeitssinn

Oskar Negt stellt in unserer Gesellschaft durch die entstehenden wirtschaftlichen Zwänge die Austrocknung der Fantasien fest. Es geht ihm dabei um den sogenannten Möglichkeitssinn: immer auch die Chance zu haben, die andere Seite einer Medaille zu betrachten und diese in Form der Phantasie denken zu können.

Eine nicht unwesentliche Rolle bei der Beförderung demokratischer Elemente und der gesellschaftlichen Vermittlung haben die Medien: Für Professor Oskar Negt steuern sie wesentlich die Aufmerksamkeit einer und in der Gesellschaft.

Die Frage nach den Utopien

Bleibt letztlich die Frage nach der Utopie. „Sind sie die konkrete Verneinung der als unerträglich empfundenen gegenwärtigen Verhältnisse, mit der Perspektive und der Entschlossenheit, das Gegebene zum Besseren zu wenden“, schließt Negt mit einer Option der Zuversicht.

Professor Negt hat den Eröffnungsvortrag bei den sechs Tagen der Utopie im Bildungshaus St. Arbogast in Götzis gehalten.

Zur Person:

Oskar Negt studierte Rechtswissenschaften, anschließend Soziologie und Philosophie bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Von 1962 bis 1970 war er Assistent von Jürgen Habermas an den Universitäten in Heidelberg und Frankfurt am Main; 1970 wurde er auf den Lehrstuhl für Soziologie der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität-Hannover berufen, an der er bis zu seiner Emeritierung 2002 lehrte.

Homepage:

Tage der Utopie

Publikation:

Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform. Steidl Verlag, Göttingen 2010,

Gesellschaftsentwurf Europa: Plädoyer für ein gerechtes Gemeinwesen. Steidl Verlag, Göttingen 2012,

Nur noch Utopien sind realistisch: Politische Interventionen. Steidl Verlag, Göttingen 2012,

Musik

Legend oft he seven dreams
Jan Garbarek

Georg Danzer. Eine Utopie