Zeuge eines Völkermords: Manfred Bliem

Der pensionierte Vorarlberger Polizeichef Manfred Bliem erinnert sich 20 Jahre nach dem Genozid in Ruanda. 800.000 Menschen wurden getötet. Die Welt sah hilflos zu, obwohl die Vereinten Nationen Blauhelme stationiert hatten.

Genau vor 20 Jahren - im April 1993 - passierte ein unvorstellbarer Völkermord in Ruanda: Hutu töteten 800.000 Tutsi, obwohl die Vereinten Nationen Blauhelme stationiert hatten, die das ausgehandelte Friedensabkommen überwachen sollten. Einer von ihnen war Manfred Bliem - späterer langjähriger Landesgendarmeriekommandant von Vorarlberg. Bliem leitete 1994 den Einsatz der Polizisten der Vereinten Nationen in Ruanda.

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Ex-Landesgendarmeriekommandant Manfred Bliem im Samstag-Interview mit ORF-Redakteurin Tarja Prüss.

Man sollte keine halben Sachen machen, sagt Manfred Bliem, ehemaliger Landesgendarmeriekommandant. Für eine erfolgreiche Mission sei das Kontingent in Ruanda viel zu gering dimensioniert gewesen, so Bliem. Mit 2.000 Soldaten und 60 Polizisten hätte man kaum was ausrichten können. Aufgabe war Überwachung des Friedensabkommens vom August des Vorjahres zwischen Regierungspartei und Tutsi-Armee.

UN-Auftrag überrascht Bliem am Heiligen Abend

Der Auftrag der UN kam schon recht überraschend, erzählt Manfred Bliem. Es blieb wenig Zeit, darüber nachzudenken. Es hieß: Sofort Koffer packen. Der Heilige Abend war sozusagen gelaufen, denn am Morgen des 25.12.1994 musste Bliem abreisen. Die Lage in Ruanda spitzte sich immer weiter zu. Das Land versank zunehmend im Chaos. Bliem spricht von ständigen, politisch motivierten, Straftaten: Morde, Entführungen. Es waren am Anfang viel zu wenig Polizisten da. Bliem war die ersten vier Wochen völlig auf sich allein gestellt. 19 weitere Österreicher kamen etwa um den 20.Jänner nach. Vorher war so gut wie nichts zu unternehmen. Bliem versuchte sich einen Überblick über die Situation in Ruanda zu verschaffen.

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Ex-Landesgendarmerie-Kommandandt Manfred Bliem im Gespräch mit ORF-Redakteurin Tarja Prüss

Konfrontation mit bewaffneten Horden

Der gelernte Polizist war mitten drin, als vor der Weltöffentlichkeit das „Morden“ an einer Bevölkerungsgruppe begann. „Damals, im Februar, zogen über Nacht, aus uns nicht bekannten Gründen, bewaffnete Banden durch die Hauptstadt, überfielen Familien und einzelne Personen. Es gab damals schon hunderte Tote. Wir wurden immer wieder zur Hilfe gerufen von Familien, die sich bedroht gefühlt haben. Das waren insbesondere ‚Mischlingsfamilien‘, entweder Tutsis mit Hutus oder mit Europäern. Ihre Häuser wurden überfallen, geplündert und natürlich auch Personen dort getötet.“

Erinnerungen nicht mehr präsent

Ob ihn die Bilder noch heute beschäftigen? Nein, nicht wirklich, sagt Bliem. Nur eine Zeit lang. Wieder in Österreich zurück, habe er andere Arbeit gehabt. Man vergesse glücklicherweise auch solch unangenehmen Ereignisse sehr schnell. Der Einsatz wurde wegen der Gefahr für die UN-Mitarbeiter beendet: „Wir waren schon nach Nairobi evakuiert. Es gab ja in der Hauptstadt keine Wasserversorgung mehr, keinen Strom, nichts mehr. Keine Verpflegung war mehr möglich. Wir waren dann in Nairobi auf Warteposition, als die Nachricht von UNO -New York kam, die Mission wird abgebrochen. Das war für die Polizei eigentlich eine logische Folge. Wir waren ja offiziell unbewaffnet. Es gab keine Chance zu diesem Zeitpunkt sich irgendwie zu bewegen, ohne schwer bewaffnet zu sein.“

„Wir haben Leben gerettet“

Aus persönlicher Sicht zieht Bliem folgende Bilanz: „Wir haben erlebt, wie gemordet wurde, konnten nicht eingreifen. Was will man mit einer Pistole mit zwölf Schuss Munition, wenn Horden unterwegs sind aus hunderten Bewaffneten? Die Verarbeitung dieser Erlebnisse ist sehr individuell. Da kann es durchaus sein, dass einer sagt: ‚Ich habe den Glauben an die Menschheit verloren.‘ Das verstehe ich schon. Das Positive an der ganzen Mission war: Wir konnten einige Personen retten. Wir haben vielleicht, so genau kann ich das gar nicht abzählen, einem Dutzend Personen das Leben gerettet.... Damit kann man dann leben.“

Man sieht das Leben mit wesentlich mehr Gelassenheit, erkennt, was wichtig ist, so die Bilanz von Bliem. Nach Ruanda habe er sehr genossen in Vorarlberg zu sein. Man konnte in Ruanda nicht einfach spazieren gehen, war immer in Gefahr. In Vorarlberg brauche man keinen Wächter vor die Tür stellen. Man begreife, wie gut es sich bei uns lebt.